Im Krankenhaus stehen seit gut einem Jahr vor allem die Covid-Patienten im Fokus. Aber wie ergeht es eigentlich anderen? Der Herrenberger Martin Reber ließ sich in der Böblinger Klinik an der Speiseröhre operieren. Drei Monate später ist er wieder fit.

Herrenberg/Böblingen - Ausgerechnet zum Höhepunkt der zweiten Corona-Welle musste Martin Reber für eine große Operation ins Krankenhaus. Mehr als 100 Covid-19-Patienten wurden damals in den sechs Häusern des Klinikverbunds Südwest behandelt, allein 25 im Böblinger Krankenhaus, dort, wo auch Martin Reber operiert wurde. Angst, sich anzustecken, hatte der 64-Jährige trotzdem nicht. „Ich habe mich in der Klinik sehr sicher gefühlt. Und ich wollte meinen Tumor unbedingt loswerden.“

 

Der Herrenberger war erstmals im Herbst 2020 zu seinem Arzt gegangen, weil er Probleme beim Schlucken hatte. Sein Hausarzt schickte ihn zur Untersuchung in die Herrenberger Klinik. Bei einer Magenspiegelung fanden die Ärzte die Ursache für Rebers Probleme: Er hatte einen Tumor in der Speiseröhre. Bereits einen Tag später gab es eine große Konferenz der Herrenberger Ärzte mit den Spezialisten des Böblinger Krankenhauses. Dort leitet Stefan Benz, Professor, Chirurg und Onkologe die Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie des Klinikums Böblingen. Er ist Spezialist für Tumor-Operationen von Magen, Gallenblase und Speiseröhre. Etwa 4000 Operationen führen allein Benz und seine 18 Kollegen pro Jahr in Böblingen durch.

Erst Chemotherapie, dann eine sechsstündige Operation

Benz entwickelte einen Behandlungsplan für Martin Reber: Zunächst vier Chemotherapie-Zyklen im Abstand von jeweils zwei Wochen, um den Tumor zu verkleinern und dann Mitte Dezember nach einer vierwöchigen Pause die große Operation. Die Chemotherapie-Dosen erhielt der Patient im Herrenberger Krankenhaus, nur eine kurze Strecke von seinem Wohnort entfernt. Viermal musste er dort jeweils fünf Stunden verbringen, anschließend lief das Medikament weitere 23 Stunden in seinen Körper. Das Prozedere schlauchte Reber. „Mir war übel und ich war sehr müde.“ Er verlor alle Haare und nahm 20 Kilogramm ab. Für die Ärzte war die Therapie aber erfolgreich. Kurz vor Weihnachten musste der Herrenberger nach Böblingen ins Krankenhaus. Am 21. Dezember wurde er operiert, die Weihnachtsfeiertage verbrachte er im Krankenbett.

Sechs Stunden dauerte der Eingriff. „Es ist die größte Operation in unserem Fachgebiet der Bauchchirurgie“, sagt der Chefarzt Stefan Benz, der die OP selbst ausgeführt hat. Dabei entfernte er nicht nur den Tumor, sondern auch Teile der Speiseröhre und des Magens und zog diesen dann als neue Speiseröhre hoch. „Das ist ein hochkomplizierter Eingriff“, sagt Benz. „Etwa neun Prozent der Patienten versterben danach.“ Schwierig seien die Nahtverbindungen von Magen und Speiseröhre. Diese würden in manchen Fällen nicht richtig verheilen. „Bei uns in Böblingen passiert das nur bei 2,2 Prozent aller Operationen“, sagt der Chefarzt stolz.

Jahrelanges Sodbrennen als Vorstufe

Operationen an der Speiseröhre seien keine häufigen Eingriffe. „Aber ihre Zahl nimmt zu.“ Viele Patienten, die jahrelang unter einem Reflux gelitten hätten, entwickelten irgendwann einen Tumor der Speiseröhre. So auch Martin Reber. „Ich hatte viele Jahre lang Sodbrennen, hab mir aber nicht viel bei gedacht und Tabletten genommen.“

Eine besondere Herausforderung für Stefan Benz und sein Team war im vergangenen Jahr die besondere Pandemie-Situation. Viele Kräfte wurden für die Behandlung von Covid-19-Patienten abgezogen. Hinzu kam. dass zu Beginn der zweiten Welle auch viele im Personal sich infizierten und ausfielen. Nicht lebensnotwendige Operationen mussten verschoben werden. „Die Behandlung einer Gallenblase oder die OP eines Leistenbruchs kann man auch ein paar Wochen später machen, aber nicht eine Tumor-Operation“, stellt Benz klar. Froh ist er, dass nun die meisten seiner Ärzte und Pfleger geimpft sind und ihnen deshalb keine Ansteckung mehr droht. „Die Impfungen sind eine enorme Erleichterung im Klinikbetrieb.“

Viele Patienten kommen aus Angst vor Corona spät zum Arzt

Schwierig sei, dass momentan viele Patienten bei Beschwerden den Arztbesuch aus Angst vor Corona hinauszögerten. „Die Leute, die dann bei uns landen, kommen später. Das erschwert die Behandlung.“ Martin Reber war rechtzeitig zum Arzt gegangen und verfügte auch vor seiner Erkrankung über eine gute Grundkonstitution. So verkraftete er die OP gut.

Sehr zufrieden ist der Chefarzt Benz mit seinem Patienten. „Herr Reber kann schon wieder fast normal leben.“ Noch muss er etwas beim Essen aufpassen. „Momentan kann ich nur kleine Mengen zu mir nehmen“, erzählt der Genesene. Doch auch das werde sich mit der Zeit sicher geben, beruhigt ihn der Arzt. Nun sei noch eines wichtig: „Herr Reber sollte sich schnellstens gegen Corona impfen lassen.“ Denn sein Immunsystem sei noch etwas geschwächt, und deshalb sei er durchaus ein Risikopatient für eine Covid-19-Erkrankung.

Künftig, so hofft der Experte Stefan Benz, werden alle Patienten zwei Wochen vor einer großem Tumor-Operation geimpft. Damit könnte bei einer Infektion mit dem Corona-Virus das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs gemindert werden. Doch auch im vergangenen Jahr habe man es – ganz ohne Impfmöglichkeit – geschafft, dass keine Nicht-Corona-Patienten schwer erkrankt seien. Bei zwei Patienten habe man im Verlauf ihres Krankenhausaufenthalts eine Infektion mit dem Virus festgestellt, aber diese hätten leichte Verläufe gehabt.

„Uns ist es gut gelungen, trotz vielen Corona-Patienten im Böblinger Krankenhaus, die Behandlung für andere schwer kranke Patienten zu sichern“, sagt Stefan Benz sichtlich zufrieden.

Mehr Corona-Patienten

Im Klinikverbund Südwest gab es am Freitag 42 stationäre Covid-19-Patienten, davon 15 auf Intensivstationen (ITS), alle 15 beatmet. Davon entfallen auf den Kreis Böblingen 27 Patienten stationär, davon 11 auf ITS, alle 11 beatmet. Hinzu kommen zwölf Verdachtsfälle im Verbund, fünf davon im Kreis Böblingen. Auch wenn im Moment noch keine planbaren OPs verschoben werden müssen: Die Zahl der Covid-19-Patienten steigt aktuell wieder an, vor Ostern verzeichnete der Verbund 30 stationären Covid-Fälle, davon neun auf Intensivstationen. Die Höchststände im Klinikverbund im April und Dezember 2020 lagen bei 110 bis 120 Covid-19-Patienten zeitgleich. Besorgniserregend sei der hohe Prozentsatz an beatmungspflichtigen Patienten (mehr als 30 Prozent der Covid-Patienten).

Zum Klinikverbund Südwest gehören sechs Kliniken in den Kreisen Böblingen und Calw. Träger sind die beiden Landkreise. Vor Corona wurden 78 000 Patienten pro Jahr stationär behandelt, 2020 nur 70 000.