Beim Umzug der Frauenklinik von Bad Cannstatt in die Stuttgarter Innenstadt läuft alles wie am Schnürchen. Doch dann übernimmt das Leben selbst die Regie und wirft ein Detail im großen Umzugsplan über den Haufen.

Stuttgart - In der Frauenklinik in Bad Cannstatt übernachtet ein Mann, dessen Frau kein Kind erwartet. Er wird auch nicht als Arzt bei einer Geburt gebraucht, und keiner jungen Mutter als Pfleger zur Hand gehen. Und dennoch gibt es einen guten Grund dafür, dass Martin Kroll in der Nacht auf Samstag in der alten Frauenklinik in Bad Cannstatt übernachtet: Kroll ist der Umzugsbeauftragte des Stuttgarter Klinikums, an diesem Samstagmorgen wird sich zeigen, ob sich die mehr als zweijährige Vorbereitungszeit, die er in den Umzug investiert hat, auszahlen wird.

 

Das Stuttgarter Klinikum stellt sich räumlich neu auf: Neben dem bisherigen Katharinenhospital ziehen die Frauenklinik (bisher in Bad Cannstatt) und die Kinderklinik Olgäle (bisher im Westen) in ein neues Gebäude ein. Die Stadt und die Klinikleitung hoffen – abgesehen vom verbesserten medizinischen Angebot und modernen Patientenzimmern – auf jährliche Einsparungen in Höhe von rund vier Millionen Euro. Insgesamt wurden 347 Millionen Euro in den Neubau investiert.

Der Aufzug klemmt

Es wird eine kurze Nacht für Martin Kroll. Schon morgens um fünf wird er informiert, dass in der alten Frauenklinik in Bad Cannstatt ein Aufzug nicht funktioniert. Techniker können die Panne rasch beheben, es ist entscheidend, dass an diesem Tag jeder Handgriff sitzt. Die Fracht, die in den nächsten Stunden von Bad Cannstatt auf einer sieben Kilometer langen Strecke in die Stuttgarter Innenstadt rollt, könnte nicht sensibler sein. 45 Patientinnen und Patienten werden an diesem Vormittag verlegt, unter ihnen befinden sich zehn Neugeborene, drei Frühgeborene und drei Kinder aus dem Kreißsaal.

Kurz vor acht Uhr stehen vor dem Krankenhaus in Bad Cannstatt die Rettungswagen bereit. Mitarbeiter der Feuerwehr, des Klinikums, des Technischen Hilfswerks und anderer Dienste sind in ihren leuchtend orangefarbenen, gelben und blauen Warnwesten im Einsatz. Insgesamt 200 Mitarbeiter helfen mit. Sie folgen einem Einsatzplan, in dem Martin Kroll minutiös festgelegt hat, wann welcher Rettungswagen abfährt und welcher Helfer die Mütter und ihre Neugeborenen begleitet. Laut Krolls Einsatzplan soll sein Kollege, Professor Ulrich Karck gegen 12 Uhr als letzter die alte Frauenklinik verlassen: er soll dabei den Stofftier-Storch, das Maskottchen des alten Kreißsaals, im Cabrio in die neue Klinik fahren.

Mütter und ihre Babys im Doppelpack

Doch dieser Fototermin wird ausfallen, weil das Leben an diesem Samstag selbst Regie führt. Kurz nach halb neun fährt der erste Rettungswagen im Klinikum Mitte vor. Ärzte, Schwestern und Pfleger stehen bereit. Die Tür des Rettungswagens wird geöffnet und zahlreiche Hände strecken sich einem Glaskasten entgegen, in dem ein Frühgeborenes liegt. Jetzt zieht der erste Patient in die neue Frauenklinik ein, er ist erst wenige Tage alt. Im Abstand von wenigen Minuten geht es nun weiter, junge Mütter, auf Tragen mit Gurten fixiert, kommen in der neuen Frauenklinik an.

Die Handgriffe an der Einfahrt der Frauenklinik folgen einer genau festgelegten Choreografie – bei den Tragen, auf denen die Mütter liegen, klappen im Moment des Ausladens automatisch die Beine der Trage nach unten aus, dass niemand in diesem heiklen Moment stürzen oder stolpern kann. Ein Mann beobachtet den Umzug, er ist eben mit dem Fahrrad gekommen, er hat an diesem Tag keine Funktion, aber er fällt die wichtigsten Entscheidungen zur Zukunft des Klinikums: Der Krankenhausbürgermeister Werner Wölfle (Grüne) bezeichnet den Umzug als „Quantensprung für das Klinikum. Wir hatten dort medizinisch kein Problem, aber wir hatten ein räumliches Problem“, sagt er und spielt damit auch auf den Zustand des Olgäle an – die Kinderklinik zieht am Samstag um. Es wird der zweite Teil eines logistischen Großunternehmens.

In der Frauenklinik ziehen am Samstagmorgen unterdessen die ersten Frauen mit ihren Babys in ihre neuen Zimmer ein. Für einige wenige Stunden läuft der Betrieb am neuen und am alten Standort parallel, damit keine Versorgungslücken entstehen. Für Ärztinnen, Krankenschwestern und Pfleger beginnt die Arbeit nun in einem Umfeld, das für sie neu ist, aber nicht unbekannt. Seit Monaten haben Martin Kroll und weitere Mitarbeiter in Schulungen das Klinikumspersonal auf deren Arbeitsplätze im Klinikum Mitte vorbereitet. In kompakten Handbüchern finden Ärzte und Schwestern Informationen zur Wegeführung in der Frauenklinik und zu den technischen Geräten.

Das letzte Baby im alten Kreißsaal

An diesen Samstagmorgen sind viele Medikamentenschränke bereits vollständig befüllt, selbst an Details haben Martin Kroll und seine Umzugsplaner gedacht. „In den Patientenzimmern stehen schon die Wasserflaschen bereit“, sagt Ralf-Michael Schmitz, der Geschäftsführer des Klinikums, „auf den Fluren spürt man die Spannung und auch ein wenig Anspannung“.

Der Chef will seinen Mitarbeitern eine Eingewöhnungsphase im Neubau zugestehen, es werde ein paar Wochen brauchen, bis sich der Routinebetrieb eingespielt hat. Kurz nach 11 Uhr ist der größte Teil des Umzugs gelaufen. Doch einige Mitarbeiter verspäten sich: Am frühen Nachmittag kommt im Kreißsaal der alten Frauenklinik in Bad Cannstatt ein gesundes Baby auf die Welt. Der Junge ist das letzte Baby, das dort geboren wird. Gegen 15 Uhr wird er mit seiner Mutter auch in die Innenstadt verlegt. Dann erst geht in der Frauenklinik das Licht aus. Alles an diesem Tag läuft pünktlich – nur der Storch hat sich verspätet.

Noch ein Großumzug

Am Samstag steht der aufwendigste und umfangreichste Teil des Umzugs an: Die Kinderklinik Olgäle verlässt ihren bisherigen Standort im Westen und zieht ebenfalls in die Stuttgarter Innenstadt in den medizinischen Großkomplex ein. Der Umzug soll um 8 Uhr beginnen und am späten Nachmittag beendet sein. Das Klinikum rechnet mit 160 bis maximal 200 Patienten, die an diesem Tag umziehen sollen. Da viele der Kinder gehfähig sind, ist der Transport weniger problematisch, unter anderem werden zwei Busse der SSB eingesetzt. Außerdem werden medizinische Geräte an den neuen Standort gebracht.