Schutzanzug, Handschuhe, Haube, Spezialbrille und Mundschutz sind für Kathi Kimmich während der Arbeit Pflicht. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie sind auf ihrer Station am Robert-Bosch-Krankenhaus drei Patienten gestorben.

Stuttgart - Kathi Kimmich läuft zwischen rotweißen Absperrungen hindurch und zeigt einem Mundschutz tragenden Sicherheitsmann ihren Mitarbeiterausweis des Robert-Bosch-Krankenhauses. Während die Abendsonne im Cannstatter Burgholz gänzlich hinter dem Parkhaus untergeht, verschwindet die junge Frau durch eine gläsernen Schiebetür, die sich nur mit einer Zugangskarte öffnen lässt, und nimmt sich drinnen eine der bereitliegenden Mundschutzmasken. In wenigen Minuten beginnt die Nachtschicht der 25-jährigen Krankenpflegerin auf der Corona-Intensivstation im ersten Stock.

 

Vor etwa drei Wochen kam der erste Infizierte auf die Station des Stuttgarter Krankenhauses. Kimmich, die dort seit eineinhalb Jahren arbeitet, erzählt die anfängliche Stimmung sei etwas seltsam, aber im Großen und Ganzen ruhig gewesen. Ehemalige Intensivpfleger wurden von anderen Bereichen abgezogen, Pflege- und Ärzteteams in den Schichten vergrößert. Die Intensivstation verlegte Patienten, bekam neue Schutzkleidung und eine Extratür zum „Kohortenbereich“. In jenem Bereich liegen die Covid-19-Patienten. An diesem Tag sind es acht.

Ein Intensivpfleger ist tagsüber ständig bei den Patienten, um schnell auf mögliche Zustandsverschlechterungen und Alarme der Beatmungsmaschinen reagieren zu können. Wer hineingeht, muss die volle Montur tragen: Schutzanzug, Handschuhe, Haube, Spezialbrille und Mundschutz. Bei jedem Gang zum nächsten Patienten werden Handschuhe und Schürze ausgetauscht. Erschwerte Arbeitsbedingungen, selbst für intensiverprobte Kräfte. „Nach spätestens einer halben Stunde bekommt man Kopfschmerzen von der Brille und steht im eigenen Schweiß“, berichtet Kimmich. Dazu kommt das ständige zeitintensive Aus- und Anziehen – die ganze Schutzkleidung muss nach einmal Tragen in den Müll.

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Im Drei-Schicht-Betrieb sind Kathi Kimmich und ihre Kollegen jeweils zehn Stunden im Einsatz. Schichtbeginn heißt, sich in die Schutzausrüstung zwängen, Beatmungseinstellungen überprüfen, Laborwerte checken, Monitore und alle Patienten einer Überprüfung unterziehen. Nicht bei allen führt die Behandlung zur Heilung. Auf der Station sind bis zu diesem Tag bereits drei Menschen an dem Virus gestorben.

Sterben ohne Abschied

Manche Fälle berühren Kimmich weniger, andere gehen tiefer. Dieser Fall ging ihr unter die Haut: Die Ehefrau eines 78 Jahre alten Corona-Patienten war ebenfalls positiv getestet worden. Sie durften sich nicht gegenseitig besuchen. Kimmich hatte Dienst, als die Frau vor wenigen Tagen schließlich im Sterben lag und versuchte verzweifelt ihr Handy aufzuladen, um ihr eine Möglichkeit zu geben noch einmal mit ihrem Mann zu sprechen. „Das hat mich mitgenommen“, gesteht die Pflegerin, „ich lasse die Patienten nicht gern alleine.“ Normalerweise darf eine ausgewählte Person mit Schutzkleidung die Infizierten im kritischen Zustand besuchen. Stabile Corona-Patienten dürfen keinen Besuch erhalten.

An solchen Tagen telefoniert Kathi Kimmich nach Feierabend viel. Sprechen hilft, ob mit ihrer Mitbewohnerin in ihrer WG im Stuttgarter Osten oder mit ihrer Mutter, die „mich oft einfach anruft und fragt wie mein Tag war.“ Freunde und Verwandte schicken ihr „Bleib-Gesund-Pakete“, erkundigen sich vermehrt, wie es ihr geht. „Das tut gut“, sagt Kimmich. Sie selbst geht spazieren oder joggt durch den Rosensteinpark, um frische Luft und Sonne zu tanken. Die Menschengruppen, vor allem junge Leute, machten sie anfangs wütend. Jetzt verhielten sich die meisten aber vernünftiger, ist ihr Eindruck.

Beim Einkaufen trägt Kimmich Mundschutz, zum Krankenhaus fährt sie mit dem Auto. Ob sie Angst hat, sich bei der Arbeit selbst mit dem Virus zu infizieren? „Ich glaube in einer vollen U-Bahn ist das Ansteckungsrisiko höher.“

Am Kreisverkehr vor dem Robert-Bosch-Krankenhaus hat jemand ein kleines Stofftransparent an den Zaun gehängt. In einem roten Herz steht „Danke <3“ darauf geschrieben. Kimmich freut sich über die Anerkennung, die sie und ihre Kolleginnen aktuell erhalten. „Wir haben auch schon Pizza gesponsert bekommen.“ Im Prinzip machen sie aber den gleichen Job, wie sonst 365 Tage im Jahr, merkt die Pflegerin an. Trotzdem betrachtet sie den Applaus aus der Bevölkerung und die Kritik an den Arbeitsverhältnissen in der Pflege getrennt voneinander. Und fügt an: „Natürlich wäre es schön, wenn sich die Wertschätzung auch in der Bezahlung bemerkbar machen würde.“