Immer mehr Bluthochdruckmittel und Medikamente gegen Herzschwäche sind offensichtlich verunreinigt. Wie groß ist das Gesundheitsrisiko? Und was müssen die betroffenen Patienten nun wissen? Ein Überblick.

Stuttgart - Schon im Juli wurden zahlreiche Blutdrucksenker und Medikamente für Herzschwäche-Patienten zurückgerufen. Die Mittel mit dem Wirkstoff Valsartan waren mit potenziell krebseregenden Stoffen verunreinigt. Auf der Liste standen Hersteller, die den Wirkstoff von einem chinesischen Zulieferer bezogen hatten. Neue Erkenntnisse der amerikanischen und europäischen Arzneimittelbehörden haben die Valsartan-Debatte nun noch einmal entfacht. Demnach gibt es nun auch in Bluthochdruckmitteln weiterer Wirkstoffhersteller Funde des potenziell krebserregenden Mittels NDMA.

 

Bei welchen Herstellern sind verunreinigte Präparate gefunden worden?

Inzwischen sind vier Valsartan-Hersteller bekannt, bei denen der Wirkstoff mit potenziell krebserregenden Substanz NDMA verunreinigt ist. Valsartan wird von Pharmaunternehmen in Europa verwendet, um Arzneimittel gegen Bluthochdruck und Herzschwäche herzustellen. Bereits im Juli waren Verunreinigungen in einem Valsartan-Wirkstoff des chinesischen Pharmakonzerns Zhejiang Huahai Pharmaceuticals entdeckt worden. Dies führte in zu einer umfassenden Rückrufwelle, betroffen waren Präparate von 17 Herstellern. Nun meldeten die US-amerikanischen und europäischen Arzneimittelbehörden FDA und EMA, dass auch Präparate eines weiteren chinesischen Produzenten namens Zhejiang Tianyu sowie des indischen Herstellers Hetero Labs Limited betroffen sind. Zudem hatte die chinesische Zhuhai Rundu Pharma einen Rückruf für bereits nach Taiwan verkaufte Medikamente gestartet.

Gibt es nun eine neue Rückrufwelle für weitere Valsartan-Präparate?

Zumindest in Deutschland ist noch kein Rückruf ausgelöst worden. Laut dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist die Firma Hetero Labs Limited bei den in Deutschland zugelassenen Arzneimitteln kein Wirkstoffhersteller: „Es sind daher diesbezüglich in Deutschland keine Maßnahmen vorgesehen“, so das BfArM. Auch seien keine verunreinigten Präparate der chinesischen Firma Zhejiang Tianyu in deutschen Apotheken ausgegeben worden. Zwar wurden in einzelnen getesteten Chargen leicht erhöhte NDMA-Werte gemessen. Diese seien allerdings nicht in den Verkehr gebracht worden. Die Liste der betroffenen Chargen ist auch über die Webseite der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, www.abda.de, abrufbar.

Wie hoch ist das Krebsrisiko für Patienten?

Die Abkürzung NDMA steht für die flüssige, wasserlösliche Substanz N-Nitrosodimethylamin. Ratten, denen in Tierversuchen NDMA mit dem Trinkwasser verabreicht wurde, entwickelten ab einer bestimmten Dosis Lebertumore. Auch für Menschen wird NDMA von der internationalen Agentur für Krebsforschung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und von der Europäischen Kommission als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Diese vage Beurteilung hat die die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA nun etwas konkreter formuliert: Demnach kommt es auf einen zusätzlichen Krebsfall pro 5000 Patienten – sofern sie täglich 320 Milligramm des verunreinigten Wirkstoffs über sieben Jahre lang eingenommen haben. Zum Vergleich: Die US-Arzneimittelbehörde FDA geht von einem zusätzlichen Krebsfall bei 8000 Patienten aus – bei einer täglichen Einnahme von 320 Milligramm verunreinigtem Valsartan über vier Jahre. Dennoch betont die Behörde, dass bisher kein unmittelbares Risiko für die Patienten bestehe.

Wie kommt die Substanz überhaupt in die Medikamente?

Zumindest bei dem chinesischen Hersteller Zheijiang Huahai Pharmaceuticals ist es wohl so, dass im Jahr 2012 das Produktionsverfahren umgestellt worden ist. Bei diesem geänderten Verfahren kann laut dem BfArM die Substanz NDMA als Nebenprodukt entstehen. Ob das allerdings bedeutet, dass die Verunreinigung auch seit sechs Jahren besteht, ist unklar. Ebenfalls zu klären ist die Frage, ob eine Verunreinigung des Wirkstoffs automatisch auch eine Verunreinigung des Präparats bedeutet.

Was raten Experten Betroffenen, die auf Medikamente mit Valsartan angewiesen sind?

Verschiedene Schätzungen gehen davon aus, dass von der ersten Rückrufwelle im Juli rund 900 000 Patienten betroffen sind. „Viele sind nun verunsichert“, heißt es bei der Deutschen Herzstiftung. Sie wissen nicht, ob ihr Valsartan-Präparat von der Verunreinigung betroffen ist, auf welches andere Valsartan sie umsteigen können, ob sie es ganz absetzen oder durch ein anderes Sartan ersetzen sollen. „Patienten sollten ihren Hausarzt aufsuchen und um eine Alternative bitten. In der Regel sollten Betroffene auf ein anderes gleichdosiertes Valsartan-Präparat umsteigen, das nicht von der Verunreinigung betroffen ist“, empfiehlt der Kardiologe und Pharmakologe Thomas Meinertz von der Herzstiftung. Spätestens bei der Ausstellung eines neuen Rezepts sollte die Umsetzung auf ein anderes, nicht betroffenes Valsartan oder ein anderes Sartan, beispielsweise Candesartan oder Telmisartan, in gleich effektiver Dosierung erfolgen. „Generell sollten Blutdrucksenker nicht abgesetzt werden“, warnt der Kardiologe Meinertz. Es könnte sonst zu Blutdruckspitzen kommen, die Herz und Kreislauf gefährlich belasten.

Kann es zu Lieferengpässen kommen?

Tatsächlich ist es in den vergangenen Tagen in Apotheken schon zu Lieferschwierigkeiten Valsartan-haltiger Arzneimittel gekommen, heißt es bei der Landesapothekerkammer (LAK) Baden-Württemberg auf Anfrage. Aber: „Apotheker wissen in diesen Fällen, welche Wirkstoffe als Alternativen zu Valsartan vorhanden sind und wie diese dosiert werden müssen, damit die Patienten wirkungsgleich behandelt werden können“, sagt der LAK-Sprecher Stefan Möbius. „Diese Informationen stehen auch auf Nachfrage den Ärzten zur Verfügung.“

Zahlen Bluthochdruckpatienten nun drauf?

Ob man als Patient eine Selbstbeteiligung bezahlen muss oder nicht, wenn er ein neues Rezept holt, weil das eigentlich verordnete Medikament vom Rückruf betroffen ist, muss mit der jeweilige Krankenkasse geklärt werden. Auch, ob die Zuzahlung erstattet wird und welche Unterlagen vorzulegen sind. Einige Krankenkassen haben die Übernahme der Zuzahlungen und auch Aufzahlungen bekannt gemacht: darunter beispielsweise die Bahn-BKK, die Landesvertretungen der Barmer GEK und der DAK.

Was wird künftig getan, um solche Verunreinigungen künftig zu verhindern?

Auch das ist noch unklar: Zwar hat Anfang der Woche der Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betont, Patienten müssten sich darauf verlassen können, dass ihre Medikamente ohne Verunreinigung hergestellt werden. Auch bestätigte er, den Fall mit zuständigen Behörden in Europa und den Ländern zu analysieren. Doch Angaben über die Konsequenzen, die daraus gezogen werden sollen, machte er nicht. Klarer äußert sich da die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft sowie die Deutsche Herzstiftung. Sie halten die zuständigen Landesbehörden mit ihrer Überwachungsaufgabe für überfordert. Ihrer Meinung nach sollte die Kontrolle über die Einfuhr und über den Vertrieb von Medikamenten aus dem EU-Ausland von einer Bundesoberbehörde übernommen werden.