Gemeinderat mache man nicht mit links, sagt der Professor der Verwaltungshochschule Kehl, Paul Witt. Er spricht aus eigener Erfahrung, denn er saß selbst einmal im Gemeinderat.

Kreis Ludwigsburg - Wenn Paul Witt über das Amt des Stadtrats spricht, redet er aus Erfahrung. Er saß selbst lange in einem Gemeinderat. Mittlerweile forscht der Verwaltungswirt lieber darüber.
Professor Paul Witt Foto: privat
Herr Witt, sind die Stadträte überlastet?
Vor ein paar Jahren habe ich mit meinen Studenten eine Studie durchgeführt. Die hat ergeben, dass die Gemeinderatstätigkeit relativ zeitaufwendig ist. Pro Monat kommen da zwischen 30 und 40 Stunden zusammen, wobei es in kleineren Kommunen eher weniger, in größeren Kommunen eher mehr sind. Dann ist es natürlich noch individuell abhängig von der Person, wie viel Zeit man investiert. Auch unter Stadträten gibt es Aufwandsminimierer, die noch mit verschlossenen Unterlagen in den Gemeinderat kommen. Das ist natürlich nicht Sinn der Sache. Wenn man das Amt ernst nimmt, muss man sich auch Zeit dafür nehmen. Dazu kommt noch, dass man oft nur in den Gemeinderat gewählt wird, wenn man bekannt ist. In der Forschung wird der Gemeinderat als „Honoratiorenparlament“ bezeichnet. Und es stimmt: Laut unserer Studie sind 95 Prozent der Gemeinderäte auch Mitglied in einem Verein, die Hälfte sogar in einem Vorstand. Das sind natürlich Zeitfresser.
Wissen Stadtrat-Kandidaten beim ersten Mal, worauf sie sich da einlassen?
In der Regel nein. Ich saß auch 18 Jahre lang im Gemeinderat einer kleinen Gemeinde bei Freiburg. Bevor ich gewählt wurde, sagte man mir: „Das machst du mit links“ oder „Das machst du nebenbei“. Das ist mitnichten so. Wenn man dann mal gewählt ist, öffnen sich einem die Augen. Ich habe es aber immer als sinnvolle Tätigkeit angesehen, deswegen hat es mir auch Spaß gemacht.
Sind die Anforderungen an ein Gemeinderatsmitglied in den letzten Jahren gestiegen?
Ich würde sagen ja, gerade auch durch das Internet und die sozialen Medien. Man recherchiert als Gemeinderat mehr im Netz als früher. Gleichzeitig ist die Erwartungshaltung der Bürger gestiegen.
Kann man etwas gegen die steigende zeitliche Belastung tun?
Ein richtiger Ansatz kann sein, die Geschäftsordnung unter die Lupe zu nehmen und beispielsweise die maximale Sitzungsdauer zu begrenzen. Auf der anderen Seite weiß ich aus Erfahrung, dass auch die Nachsitzungen des Gemeinderats einen gewissen Wert haben. Dort kann man sich informell noch einmal austauschen. Es wäre schade, wenn man sagt, um 22 Uhr lässt man den Stift fallen und geht nach Hause. Ein weiteres Werkzeug für die Sitzungsdisziplin sind die Geschäftsordnungsanträge. Hier können die Gemeinderäte den Schluss der Debatte beantragen oder die Rednerliste zum Thema begrenzen.
Wie sieht es mit Redezeitbegrenzungen aus? Im Landtag und im Bundestag ist das gang und gäbe. Viele Gemeinderäte sehen das aber als Einschnitt in ihre Meinungsfreiheit.
Redezeitbegrenzungen können hilfreich sein. Es gibt ja auch unterschiedliche Charaktere bei den Gemeinderäten. Mancher redet gerne viel und lang und verzögert damit die ganze Sitzung. Ich bin der Meinung: wenn sie ihr Anliegen nicht ordentlich in fünf Minuten ausdrücken können, dann schaffen sie das auch nicht in 20 Minuten.
Wäre es eine Idee, das Gemeinderatsamt nicht mehr als Ehrenamt zu betreiben?
Das wäre eine Möglichkeit. Es gibt dazu Vorschläge des Soziologen Peter Dienel. Die sehen vor, den Gemeinderat mit Personen aus allen Bevölkerungsschichten zu besetzen. Diese sollen für jeweils ein Jahr von ihrer Arbeit freigestellt und bezahlt werden. Das musste aber verworfen werden, weil es sehr aufwendig und teuer ist. Ich sehe im Moment also auch keine Alternative zum Ehrenamt.
Verliert das Amt des Gemeinderats durch das Mehr an Zeit, die man dafür aufbringen muss, an Attraktivität?
Bei den letzten Wahlen beklagten die Parteien, dass die Kandidatensuche schwieriger geworden ist. Auf der anderen Seite gibt es vermehrt Stadträte, die über freie, themenbezogene Listen einziehen, beispielsweise eine Frauen- oder eine Umweltliste. Generell kommt es aber darauf an, dass das Amt des Gemeinderats möglichst attraktiv gestaltet wird. Damit meine ich nicht nur die Aufwandsentschädigung, denn darum geht es den wenigsten. Man muss als Gemeinderat das Gefühl haben, man wird von der Verwaltung ernst genommen.