Corona hat das ehrgeizige Projekt Vision 2025 beim FC Gerlingen nur unterbrochen, aber nicht gestoppt. Nun greift der Fußball-Tausendsassa Wolfgang Lamitschka mit neuem Elan an.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Früher war die Trillerpfeife der beste Freund eines Fußball-Trainers, damals als die Männer noch im Trainingsanzug an der Seitenlinie standen und wild gestikulierend Laufwege in die Luft malten. Heute haben iPad und Laptop die Pfeife abgelöst, manche Übungsleiter nehmen den digitalen Alleskönner wahrscheinlich mit auf die Toilette, um noch einige Statistikdaten zu checken. Wolfgang Lamitschka kennt sowohl die Ära der Trillertrainer als auch die der Laptop-Coaches. Der Mann ist 59 Jahre alt, hat fast in seinem gesamten Leben stets einen Fußball bei sich gehabt – er ist ein nimmermüder Mensch mit Visionen und einem Sendungsbewusstsein. „Der FC Gerlingen hat 650 Mitglieder“, sagt er, „das ist im Vereinsbereich wie ein mittelständisches Unternehmen in der Wirtschaft, also braucht der Club Orientierung, Ziele und Strategien.“

 

Diese Erkenntnis kam dem ehemaligen höherklassigen Amateur-Kicker und Mitglied des Trainerlehrstabes des Württembergischen Fußball-Verbandes (WFV) nicht beim Müßiggang während eines Corona-Lockdowns, diese Überzeugung hat er bereits 2017 an den Start gebracht, sie Vision 2025 genannt und präsentiert. Nun hat Lamitschka den Restart gezündet, im Pavillon des FC Gerlingen referierten Coaches des Fußballvereins über verschiedene Themen, um Taktik, Tricks und Tore – aber auch über Ehrenamt, Vereinsidentifikation, Motivation und Werte, die im Sport so elementar sind wie im Leben, beispielsweise das Fairplay. „Es geht darum“, betont Lamitschka, „die Menschen mitzunehmen. Und wenn Fußballer viel Zeit im Club verbringen, wenn sie sich zwei-, dreimal pro Woche im Training sehen und am Wochenende um Punkte kämpfen, muss man sie genau dort abholen.“

Weil aber die Kräfte und die Zeit des Wolfgang Lamitschka endlich sind, und er sich ohnehin nicht als der allwissende Heilsbringer sieht, hat er sich Trainer und Übungsleiter des FC Gerlingen mit ins Boot geholt. 50 Personen sind es, die von den Mini-Kickern bis zur A-Jugend den Nachwuchs nicht nur im sportlichen Sinne unterweisen, sie sollen und wollen ein Stück weit Begleiter fürs Leben sein. Dabei gelten zwei eherne Gesetze. Erstens: Kinder anschreien ist eine Todsünde. Zweitens: Jedes Kind bekommt Spielzeit.

Deshalb erhalten die Trainer ein fachliches Upgrade zum Coach 2.0, das von Lamitschka geleistet wird. Dazu gehört, dass der 59-Jährige einen Trainer vier Wochen lang begleitet bei allem, was er im FC tut – von der Trainingsvorbereitung, übers Training bis zum Spiel und bei der Durchführung von Elternabenden, zudem reden sie über Trainingspläne. „Es ist ein Austausch auf Augenhöhe“, betont der Fußball-Enthusiast, „wir lernen gegenseitig voneinander.“ Spezifische Trainingsinhalte wie die Spieleröffnung werden gefilmt und an Ort und Stelle besprochen, um bessere Lernerfolge zu erzielen. Zudem werden mitunter die Perspektiven getauscht, der Coach wird zum Co und umgekehrt – danach bewertet der eine, wie der andere die Rolle ausgefüllt hat. Auch Spieler werden nach den Einheiten immer wieder aufgefordert, die Arbeit des Trainers zu bewerten. „Die sind dann so was von ehrlich und gerade heraus“, sagt Lamitschka, „genau das bringt uns weiter.“ Denn es existieren zwar im Internet unzählige Anleitungen, Kniffe und Ratschläge für Fußball-Trainer, die Präsenz von Supervisor Lamitschka bringt einen unschätzbaren Vorteil. „Wenn man bei mir was nicht versteht, fragt man nach“, erklärt er, „das geht im Netz nicht.“

Auch der Gerlinger Bürgermeister taucht auf

Es geht beim FC Gerlingen um Sozial- und Fachkompetenz und darum, die Entwicklung im Club zu verstetigen. Zum Trainer-Upgrade gehörte daher die Vortragsreihe im Pavillon Mitte Januar, wo elf Coaches ein vorbereitetes Thema in weitestgehend freier Rede innerhalb von zehn Minuten verständlich darlegen sollten – dabei war lediglich eine Folie in der Präsentation erlaubt. Selbst Gerlingens Bürgermeister Dirk Oestringer ließ es sich nicht nehmen, beim FC vorbeizuschauen und den Rednern zu lauschen. Wolfgang Lamitschka jedenfalls war höchst erfreut über die Anwesenheit des Stadtoberhauptes, dies sei „die höchste Form der Anerkennung durch die Kommune“.

Freilich verfolgt die Vision 2025 auch ein sportliches Ziel. Begabte Trainer sollen begabte Spieler ausbilden, die dem FC Gerlingen helfen, die Niederungen der Kreisliga zu verlassen. Zumindest die Bezirksliga solle in absehbarer Zeit erreichbar sein, findet Lamitschka, der es als Spieler bis in die Verbandsliga gebracht hat. Doch die erste Mannschaft ist (noch) ein Sorgenkind, in der Kreisliga A ist sie derzeit Vorletzter mit lediglich einem Sieg und einem Unentschieden. Es ist noch ein weiter Weg in die Bezirksliga, bis das Konzept fruchtet, bleibt Geduld ein wichtiger Begleiter. Denn der 59-Jährige ist sich bewusst, dass trotz Vision 2025 der eine oder andere Trainer das Handtuch werfen wird – sei es aus beruflichen oder privaten Gründen, doch er vertraut darauf, dass die Lücken geschlossen werden können. Wolfgang Lamitschka jedenfalls ist sich sicher, dass seine Motivation und Kondition bis 2025 reichen werden. Mindestens.