Senioren sollen wegen des Coronavirus ihre Pflegeheime nicht mehr verlassen. Das verkünden Winfried Kretschmann und Jens Spahn in Stuttgart. Der Landesseniorenrat hält das für falsch.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Winfried Kretschmann schluckt erst mal, als er gefragt wird, ob er Ostern mit seinen Enkeln verbringen wird. Natürlich nicht, sagt der Ministerpräsident, und wie er gehört habe, dass seine beiden Enkel ob dieser Nachricht geweint hatten, da „ging das schon sehr ans Gemüt“. Tausenden von Omas und Opas wird es am kommenden Wochenende ähnlich ergehen. Am Dienstag rief Kretschmann noch einmal dazu auf, „lieb gewordene Gewohnheiten“ zu diesem Osterfest ganz besonders gut zu verstecken. Keine Reisen, keine Familienbesuche – maximal ein langer Spaziergang mit dem nötigen Abstand zu den Mitmenschen sei angesagt.

 

Für die rund 100 000 Menschen, die in Pflegeheimen wohnen, ist dieser Ratschlag noch mit amtlichem Siegel versehen worden. Per Rechtsverordnung hat das Sozialministerium den Osterausflug untersagt. Heimbewohner sollen das Gelände nur noch zu unaufschiebbaren Erledigungen verlassen, der Besuch der Enkel gehört da nicht darunter.

Seniorenrat: Infektionsgefahr in den Heimen größer

Der Besuch von Alten- und Pflegeheimen ist schon seit längerem entweder ganz verboten oder streng reglementiert. Ein Verstoß gegen dieses Verbot kann in Baden-Württemberg mit einem Bußgeld zwischen 250 und 1500 Euro sanktioniert werden. Es sei ihm bewusst, wie sehr in die Freiheitsrechte der Menschen eingegriffen werde, so Kretschmann. Doch oberste Priorität habe derzeit, die Zahl der Infektionen zu verlangsamen. Der Landesseniorenratsvorsitzende Uwe Bähr sprach sich bereits vor der Bekanntgabe der Entscheidung gegen eine Ausgangsbeschränkung aus: Die Infektionsgefahr sei in Heimen größer als in der Öffentlichkeit.

„Die wenigen Bewohner, die noch selbstständig ein Pflegeheim verlassen können, sollten in ihren Freiheitsrechten nicht beschränkt werden.“ Die evangelische Heimstiftung kritisierte, dass die Maßnahme „zwei Wochen zu spät“ komme. Wichtig seien mehr Tests, und eine Aussetzung der freien Hausarztwahl. Ein fester Arzt pro Heim sei besser, außerdem brauche es mehr Schutzausrüstung.

Eingriff in die Freiheitsrechte

Beim Thema Schutzkleidung hatte Kretschmann positive Nachrichten. Insgesamt 170 Betriebe hätten auf seinen Brief reagiert, nun prüfe das Land, in wieweit diese dabei helfen könnten, Masken und Schutzkittel zu produzieren. Für die nächsten „Wochen und Monate“ sei man aber noch auf Lieferungen aus dem Ausland angewiesen, sagte Kretschmann. An diesen Donnerstag solle ein Flugzeug mit einer von Porsche organisierten Charge an Schutzmasken aus China landen, mehrere Millionen Stück.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erklärte, dass auch der Bund mit Hochdruck daran arbeite, Produktionsstandorte für Schutzkleidung aufzubauen. Die Produktion könne „bis August starten“, so Spahn, der an der Kabinettssitzung in Stuttgart teilgenommen hatte. Sehr zeitnah werde der Bund Beatmungsgeräte in den Südwesten schicken.

Parties und das Volksfest sind als letztes möglich

Bei Fragen nach einem möglichen Ende der Zwangsmaßnahmen zeigten sich sowohl Spahn als auch Kretschmann zurückhaltend. Ostern und die Tage danach seien entscheidend, sagte der Gesundheitsminister. Sollte der weitere Infektionsverlauf es zulassen, so stelle sich die Frage, was am wenigsten Verzichtbar für den Einzelnen und die Gesellschaft sei und wo die Risiken niedrig oder hoch seien. Immerhin eine konkrete Aussage ließ sich Spahn in diesem Zusammenhang entlocken: „Was im Zweifelsfall als letztes wieder möglich ist, ist die Party und das Volksfest.“ Beides sei wunderbar, aber nicht lebensnotwendig – und bei beiden Arten von Veranstaltungen sei das Risiko, sich zu infizieren, besonders hoch.

Auch Kretschmann erteilte einer schnellen Rückkehr zur Normalität nach Ostern eine Absage. „Wann wir die Maßnahmen lockern, kann ich nicht sagen, sicher ist nur, dass es Schritt für Schritt erfolgen wird“. Große Firmen wie Bosch, Daimler und Porsche hätten den Produktionsstopp von sich aus beschlossen, „sie entscheiden auch selber wieder, wann sie einsteigen“, sagte Kretschmann.

Für den Start der Schulen sei zwar die Landesregierung zuständig, aber noch sei es zu früh, sich auf ein wann und wie des Neubeginns festzulegen. „Wir debattieren das intensiv, aber nicht öffentlich“, sagte der grüne Ministerpräsident.