Bei der Regierungserklärung zum Krieg in der Ukraine wählen die Redner große Worte. Aber es gibt auch kleinliche Seitenhiebe - etwa gegen den Bund.

Teilweise emotional, aber überwiegend staatsmännisch hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Mittwoch im Landtag die Parlamentarier und die Bevölkerung auf weitreichende Auswirkungen des Krieges in der Ukraine eingestimmt. Es könnten deutlich mehr Flüchtlinge ins Land kommen als im Jahr 2015. „Hinter jedem Verwaltungsvorgang steht ein ganz konkretes menschliches Schicksal“, verdeutlichte Kretschmann.

 

Berichte von flüchtenden Familien gehen dem 73-Jährigen unter die Haut. Sein Bruder, den er nie kennenlernte, starb nach dem Zweiten Weltkrieg als Säugling auf der Flucht. Noch Jahrzehnte später sprachen die Eltern in der Familie Kretschmann, wie in vielen anderen Haushalten, von Krieg, Flucht und Vertreibung.

Kretschmann sieht den Bund in der Pflicht

Die humanitäre Pflicht, den Flüchtenden aus der Ukraine zu helfen, ist bei allen Fraktionen im Landtag unumstritten. Härten und einen Verdrängungswettbewerb will Kretschmann vermeiden. Zum Beispiel auf dem angespannten Wohnungsmarkt. Das Land will die Kommunen beim schnellen Bau von Flüchtlingsunterkünften unterstützen. Da sieht Kretschmann aber den Bund in der Pflicht – und ließ er Skepsis durchblicken. An diesem Donnerstag verhandeln die Länderchefs mit dem Kanzler. Kretschmann hofft, „dass wir zu einer guten Lösung kommen“.

Aber auch jeden Einzelnen sieht Kretschmann in der Pflicht. Im Kleinen wie im Großen. Das Gemeinwohl werde einen höheren Stellenwert bekommen, betont er nachdenklich. Vor Ort seien viele Freiwillige gefragt. Das Land will die Zahl der   Vorbereitungsklassen, in denen Flüchtlingskinder Deutsch lernen, aufstocken. 600 Freiwillige hätten sich bereits gemeldet. Weitere werden gebraucht.

Ministerpräsident verlangt neuen Blick auf Solardächer und Windräder

Kretschmann stellte nüchtern fest: „Wir müssen uns auf härtere Zeiten einstimmen, und ja: auch auf harte Einschnitte.“ Der Staat werde nicht alles ausgleichen können. Die Grünen müssten Kröten schlucken. Dass Wirtschaftsminister Robert Habeck Flüssiggas kaufen muss, sei „ für das Klima natürlich Teufelszeug“. Deshalb laute die große Aufgabe erneuerbare Energien, grünen Wasserstoff und Energieeffizienz noch „sehr viel beherzter und schneller voranzutreiben“. Das bringt Applaus von Grünen und SPD.

Auch an Japan könnten sich die Bürger ein Beispiel nehmen und das Energiesparen zum Volkssport erklären. Der Blick auf Solardächer, Stromtrassen und Windräder muss sich ändern, verlangt der Regierungschef: „Die Zeiten, in den wir ästhetische Aspekte und kleinteilige Bedenken in den Vordergrund gestellt haben, sind endgültig vorbei. Es geht nicht mehr nur um das Klima. Es geht auch um unsere nationale Sicherheit“. Erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff sieht er somit auch als „Freiheitsenergien und als „Sicherheitsenergien“.

Der Krieg werde den Strukturwandel noch beschleunigen, ebenso den Abschied von fossilen Rohstoffen. Wehrhaftigkeit koste Geld, das in anderen Bereichen nicht ausgegeben werden könne. Der Regierungschef spannt den großen Bogen: „Demokratien sind autoritär geprägten Systemen überlegen.“ Das trägt Kretschmann anhaltenden Beifall aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD, ein. Auch als er fortfährt: „Weil sie den wichtigsten Wert menschlicher Existenz nach ganz vorne stellen: Die Freiheit.“

FDP lobt „Blut-, Schweiß- und Tränenrede“ – ein bisschen

Der Ministerpräsident habe in Ansätzen eine „Blut-, Schweiß- und Tränenrede gehalten“, resümierte Hans-Ulrich Rülke (FDP) und findet das richtig. Doch Rülke sieht einen neuen Zielkonflikt zwischen Ernährungsversorgung und Klimaschutz. Auch erwartet er, dass es bei der Integration Probleme geben werde. „Darauf muss man die Menschen in Baden-Württemberg vorbereiten“. Kretschmanns Haltung gegenüber der Bundesregierung goutiert Rülke gar nicht: „Es wäre hilfreich, wenn Sie nicht bei jeder Gelegenheit gegen Berlin koffern würden.“

Auf ganzer Linie hinter seinen Regierungschef stellte sich Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz. Für ihn steht fest, das Land muss deutlich mehr in den Bildungsbereich investieren. Weltpolitisch macht er sich dafür stark, Putin und seine Armee wegen deren Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Verantwortung zu ziehen.

CDU gibt sich staatstragend

Manuel Hagel (CDU) wählte große Worte. „Frieden und Freiheit gibt es nicht zum Nulltarif“, sagte er. Der CDU-Fraktionschef rief zu einer nationalen Kraftanstrengung auf und mahnte: „Es wird nicht ohne persönliche Entbehrungen gehen.“ Die Lebenshaltungskosten könnten steigen, man müsse eventuell länger auf einen Kitaplatz warten. „Aber wir müssen für unser Menschenbild einstehen“, verlangte Hagel, „der Feind Putins ist die Freiheit.“

Bodenständiger ging Andreas Stoch (SPD) das Thema an. Er unterstützt Kretschmann in vielen Punkten und dankte den vielen Helfern. Mit dem Finger auf andere zu zeigen, das halte er nicht für angemessen. Jetzt gelte es „gemeinsam richtige Entscheidungen zu treffen, die schon lange hätten getroffen werden müssen“ – im Bildungsbereich oder auf dem Wohnungsmarkt.

AfD spricht von Doppelmoral

„Substanziell gut“, bewertet Bernd Gögel (AfD) die Regierungserklärung Kretschmanns. Er sprach von Doppelmoral beim Freiheitsbegriff und führte die Coronamaßnahmen an. Für ihn steht fest: „Sie alle, von rot bis schwarz, sind für die gescheiterte Politik der letzten Jahrzehnte verantwortlich.“ Die anderen dagegen rechneten einmütig die AfD zu den „Feinden der Freiheit“.