Wie die Fliegen sterben die Regionalkrimiautoren: Gerhard Henschel unterhält mit seinem Überregionalkrimi „Heidefieber“ prächtig.

Stuttgart - Jeder Mensch, der viele Bücher bei sich zu Hause stehen hat, kennt diese Frage: „Haben Sie die alle gelesen?“ Auch Kommissar Gerold fragt das, als er beim Literaturkritiker Alwin Peters ist. Und bekommt sofort einen Anpfiff von seiner Kollegin, Kommissarin Fischer: Das fragt man nicht. Und wieso nicht? „Weil das nur Idioten fragen.“

 

Um Bücher geht es, um Autoren und um einen Serienmörder. Armin Breddeloh ist sein erstes Opfer. Bei einer Veranstaltung in der Buchhandlung Patz in Bad Bevensen, in der er aus seinem dritten Regionalkrimi, „Heidefieber“, gelesen hat – vorher erschienen „Heideblut“ und „Heidejagd“, sie alle spielen in Bad Bevensen, einem Städtchen in der Lüneburger Heide – wird er von Peters wegen Einfallslosigkeit getadelt, vom Buchhändler gefragt, ob es nicht langweilig sei, immer dasselbe vorzulesen, und eine Dame sagt ihm, Harry Rowohlt habe viel besser vorgelesen. Am nächsten Tag wird seine Leiche gefunden, neben ihm zwei Augäpfel – der Mörder hat ihm die Augen ausgerissen und ihm Glasaugen eingesetzt. Sein Wagen wird ausgebrannt zwischen Becklingen und Bostelwiebeck gefunden. Und Ute Fischer entdeckt, dass in Breddelohs Roman „Heidefieber“ ein Mann ermordet wird, dem ebenfalls zwei Glasaugen eingesetzt wurden: „O Himmel, dachte Gerold. Was ist das für eine kranke Scheiße?“ Und: „Wenn das Schule machen sollte, sehe ich schwarz für unsere Krimischreiber.“

Tod in der Sauna

Und es machte Schule. Wie die Fliegen sterben die Regionalkrimiautoren, und alle genau nach demselben Muster: so wie eine ihrer Figuren in einem ihrer Krimis. Der Hachenburger Autor Frieder Lindenthal, der die Krimis „Blutiger Westerwald“, „Der Westerwald-Killer“ und „Spiel mir das Lied vom Westerwald“ geschrieben hat, starb in seiner Sauna, in der er verbrannt wurde, wie es in seinem Roman heißt: „Stirb, du Schwein, dachte Rogowski und weidete sich daran, wie Leonhards Haut kross wurde und in Flammen aufging. Es war lustig, die einzelnen Feuerstelen aufspringen zu sehen, während das Leben in Leonhards Augen erlosch…“ Ein neunzig Kilo schwerer Grabstein verrammelte die Tür zur Sauna – unsinnigerweise, weil das Opfer eh gefesselt war.

Hobbe Hubertus mit seinen Inselkrimis „Mord auf Spiekeroog“, „Selbstjustiz auf Baltrum“, „Totschlag auf Sylt“, „Exitus auf Pellworm“ und „Amoklauf auf Amrum“ wird geköpft, sein Kopf in einem Buddelschiffmuseum in Neuharlingersiel in einer Flasche entdeckt. Justus Weindls Bücher heißen „Zellerseemord“, „Zellerseeblut“, „Zellerseegift“ und „Zellerseetod“ und spielen – richtig: am Zellersee: „Der Zellersee in der baden-württembergischen Gemeinde Kißlegg im Landkreis Ravensburg war an und für sich eine gute Wahl als Kulisse für seine Kriminalromane gewesen, denn auf den Zellersee und dessen Umgebung war zuvor noch niemand verfallen“.

Fische als Mordwaffe

In „Zellerseeblut“ hat er beschrieben, wie der gefesselte und mit Fußkugeln versehene Musikproduzent Ludwig Steinmaier in seinem Jacuzzi mit der Hilfe von Fischen ermordet wird: „Fünfzehn Löwenmähnenquallen schwappten in das Wasser. Sie gehörten zum Stamm der Nesseltiere und gestellten sich sofort zu dem rosaroten Menschenleib, der ihnen keinen Widerstand leisten konnte. Mit ihren Tentakeln riefen sie eine starke allergische Reaktion hervor. (…) Eine zwei Meter lange Streifenruderschlange, der Biss tödlich war, glitt aus dem Wasserschwall und steuerte Steinmaiers haarige linke Wade an. Der Homo sapiens fiel zwar nicht in ihr Beuteschema, aber wie hieß es so schön? In der Not frisst der Teufel Fliegen…“

Gehöriger Hass auf alle, die schlecht schreiben

Und so geht es weiter, viele Autoren und Autorinnen werden gemeuchelt, der eine stirbt in einem hohlen Baum, die andere per Panzerfaust in einer Gondel, einem fällt eine Eiche genau auf den Kopf, einer wird von Wölfen zerrissen, einer mit den Originalfolterwerkzeugen, die man bei den Münsteraner Wiedertäufern benutzt hat, gefoltert und ermordet und dann stilecht im Käfig an der Lambertikirche aufbewahrt (er hat historische Krimis geschrieben). Eine lange Liste kommt da zusammen: Da hat wirklich jemand nicht nur genaue Kenntnis von Regionalkrimis, sondern auch einen gehörigen Hass auf alle, die schlecht schreiben – und nach diesem Roman scheinen Regionalkrimiautoren zu deren Spitzenvertretern zu gehören. Bestsellerautoren, trotz mangelnder Qualität, sind sehr viele von ihnen. Als Kommissar Gerold zum Buchhändler Patz sagt, „Das scheint ja ein einträgliches Marktsegment zu sein“, lacht der „so trocken auf, wie er konnte“ und belehrt ihn: „Das ist kein Segment! Die Kunden kaufen praktisch überhaupt keine anderen Bücher mehr! Versuchen Sie mal, denen was von Goethe oder Arno Schmidt schmackhaft zu machen!“ Der ja schließlich auch in der Heide gewohnt und geschrieben hat.

Fulminante und spannende Abrechnung

Gerhard Henschels Roman „Soko Heidefieber“ ist eine fulminante, witzige und zugleich spannende Abrechnung mit den Niederungen dieses Genres (oder dem Genre selbst), und während der naive Rezensent am Anfang noch geglaubt hat, Henschel habe diese fürchterlichen, schwülstigen und kitschigen Zitate erfunden, beschlich ihn nach und nach immer mehr der Verdacht, dass es leider doch Originalausschnitte aus diesen Büchern sind – der Rezensent traut sich nicht, das nachzuprüfen.

Alle kriegen ihr Fett ab: die Vereinsmeierei in der Krimiszene mit ihrer Ellbogen- und Neidmentalität, die „unfähige“ Polizei und nebenbei auch der großspurige Verleger Gerd Haffmans der „weithin bekannt für seine aufopferungsvolle Autorenpflege“ ist – ältere Leser, die ihn und seinen Haffmans Verlag noch kennen, werden die feine Ironie zu schätzen wissen. Am schlimmsten springt Henschel aber mit einem Autorenkollegen um, Frank Schulz, der allerdings tatsächlich ein ernstzunehmender Schriftsteller ist. Henschel hetzt ihn durch die Katastrophen eines Barockromans, mit allem Drum und Dran: Schlägereien, Entführungen, Fluchten, Folter, Verstümmelungen, eine knappe Rettung vor dem Tod durch einen Bären, Sklavenarbeit, Rettung auf ein Schiff, Meuterei, Rettung durch einen Tornado … Schulz‘ Elend beginnt damit, dass er auf einer Lagebesprechung der Polizei sagt: „Wenn man zynisch wäre, könnte man die These vertreten, dass wir es hier mit einer Art angewandter Literaturkritik zu tun haben.“ Was er natürlich angesichts der brutalen Morde so nicht meint. Aber dann kommt, was kommen muss: Das Zitat wird bekannt, aus dem Zusammenhang gerissen, der Autor von sensationsgeilen Journalisten fertiggemacht und eine Jagd auf ihn inszeniert, die ihn nach Griechenland flüchten lässt. Wo dann Henschels barocke Räuberpistole beginnt. Und sie aber nach allem Unbill glücklich für Schulz endet.

Immer knapp am Kolportageroman vorbei

Natürlich gibt es, genretypisch, eine Liebesgeschichte zwischen den beiden Kommissaren, es gibt eine Liebespille, die Ute Fischer am Schluss auf hintersinnige Weise vor Zapps ständigen Nachstellungen bewahrt. Der Autor brilliert mit seinen Kenntnissen, wie man deutsche Dialekte von Plattdeutsch über Schwäbisch bis Bayerisch wiedergibt, und schliddert mit seinen grotesken Einfällen immer knapp an einem Kolportageroman vorbei, den er süffisant vorführt. Es scheint, als habe Henschel beim Schreiben viel Spaß gehabt. Der Leser hat es.

Gerhard Henschel: Soko Heidefieber. Ein Überregionalkrimi. Verlag Hoffmann & Campe, 288 Seite, 18 Euro