Der amtierende König von Spanien steht für den Übergang von der Franco-Diktatur in eine moderne Demokratie. Aber seine Fehltritte und Missgriffe beschädigen das Amt und das Gemeinwesen – mitten in einer schweren Krise des Staates. Es wäre an der Zeit, den nächsten Schritt zu tun, meint der StZ-Autor Eberhard Straub.

Stuttgart - Spanien ist das einzige Land in Europa, das im zwanzigsten Jahrhundert – nach einer Unterbrechung von mehr als vierzig Jahren – zur Monarchie zurückkehrte. Dieser Übergang nach dem Zusammenbruch der Monarchie 1931, der Republik 1936 und nach den Erfahrungen des Bürgerkrieges und der Diktatur vollzog sich 1975 ohne jeden Enthusiasmus. Es schien der einzige Ausweg zu sein, wieder zu einer Normalität zu gelangen, in der die miteinander unversöhnten Spanier lernen konnten, einander auszuhalten und zu ertragen. Hundert Jahre zuvor – 1875 – verständigten sich die Spanier, ernüchtert vom Bürgerkrieg und einer chaotischen Republik, auf die gleiche Lösung. Sie hatte keinen festen Bestand, von 1908 an taumelte Spanien von einer Krise zur nächsten.

 

General Primo de Rivera, Marques de Estella, der erste, von König Alfons XIII. legitimierte Diktator, konnte nach 1923 die allgemeine Auflösung nur hinauszögern. Mit seinem Sturz war auch der des Königs und des Königtums verbunden. Alfons XIII. hatte die Krone um die Reste ihres Ansehens gebracht, weil er sich und den Staat einem putschenden General, der noch nicht einmal die gesamte Armee hinter sich wusste, widerstandslos auslieferte. Damit verzichtete er auf seine wichtigste Aufgabe, zwischen den Lagern zu vermitteln und Repräsentant des einen, unteilbaren Spanien zu sein.

Franco wollte immer den Übergang zu einer Monarchie

Es gab nicht, wie die Legende will, ein rechtes und ein linkes Spanien, die sich erbittert bekämpften. Die Lager zerfielen in viele Gruppen, die einander misstrauten und die Linke wie die Rechte zu einem unüberschaubaren Sammelsurium von kaum zu vereinbarenden Tendenzen machten.

Francisco Franco ließ nie einen Zweifel daran, dass sein Führerstaat der Übergang zu einer neuen Monarchie sein würde, die 1947 denn auch eingerichtet wurde – allerdings ohne einen König. Es blieb lange unklar, wen er zum Thronanwärter bestimmen würde. Klar war nur, dass er allein den künftigen König unter verschiedenen Kandidaten auswählen wollte. Es ging ihm nicht um die Restauration der Monarchie und der alten Dynastie, sondern um die instauración, den Aufbau eines neuen, königlichen Staates. Erst 1969 wurde der Infant Juan offiziell zum Prinzen von Spanien und damit zum Nachfolger Francos ernannt. Die Legitimität des Königs beruhte nicht auf seiner Herkunft als Prinz der königlichen Familie und auf dem geregelten Erbrecht, sondern sie leitete sich von einem Machtwort des Generalissimo ab, des Caudillo, der seine Autorität dem Willen Gottes zuschrieb, indem er sich selbst zum Führer von Gottes Gnaden erhob.

Der Großvater des Königs Juan Carlos wurde abgesetzt, weil er sich zum Handlanger eines Diktators gemacht hatte. Sein Enkel konnte nur König als williges Werkzeug eines Diktators werden, der seine Erziehung, vor allem seine politische Bildung, leitete und überwachte. Es gab immer wieder Proteste gegen eine idiotische Einrichtung wie die Monarchie und dementsprechend gegen den künftigen rey idiota.

Juan Carlos überraschte als selbstständiger politischer Kopf

Aber insgesamt fügten sich die Spanier in die neue Monarchie, warteten ab – und rieben sich alsbald verdutzt die Augen. Denn Juan Carlos überraschte sie als selbstständiger politischer Kopf, der tatsächlich die Grundlagen für ein neues Spanien legte. Seine wahre Legitimation empfing er am 23. Februar 1981, als er sich einem Militärputsch verweigerte und sich als Hüter der demokratischen Verfassung bewährte. Er wurde zum populärsten Monarchen in Spanien seit Karl III., der 1788 gestorben war. Mit Juan Carlos begann ein neuer Staat und eine Monarchie, die sich allein aus ihrer erfolgreichen Geschichte seit 1975 legitimieren. Beide durchlaufen mittlerweile eine Krise, da ganz unabhängig von, aber gleichzeitig mit den umfassenden europäischen Ungewissheiten das Königshaus zum ersten Mal seit 1931 in die Diskussion geriet.

König Juan Carlos’ Schwiegersohn Iñaki Urdangarín muss im Februar 2012 als erstes Mitglied der königlichen Familie als Beschuldigter vor einem Ermittlungsrichter aussagen. 2013 wird Anklage wegen Steuerhinterziehung und Veruntreuung gegen ihn erhoben.Der König selbst bricht sich im April 2012 die Hüfte bei der Elefantenjagd in Botsuana. Die spanische Presse zeigt sich nicht nur empört über die Reisekosten von mehreren Zehntausend Euro, sondern berichtet auch über Eheprobleme zwischen ihm und Königin Sofía. Und seit April 2013 wird im Steuer- und Korruptionsskandal auch gegen Infantin Cristina, Urdangaríns Ehefrau, ermittelt. Am 8. Februar 2014 muss sich die Prinzessin als Beschuldigte von einem Gericht in Palma verantworten.

Die Altersgenossen des Königs gründeten das neue Spanien

Damit wurde die Rolle des Königshauses fragwürdig. Den König scheint seit geraumer Zeit die Sicherheit zu verlassen, Situationen richtig einzuschätzen und demgemäß zu handeln. Seine große Begabung hatte sich seit je darin gezeigt, nicht sich selbst zu vertrauen, sondern guten Ratgebern zu folgen und damit ungewöhnliche Autorität zu gewinnen. Der ruhige Übergang von der Diktatur in die Demokratie war das Werk einander vertrauender und ergänzender Politiker, denen der König, dessen Machtbefugnisse anfänglich weitreichend waren, die Möglichkeiten gewährte, ein stabiles, demokratisches Spanien zu schaffen. Zuweilen nötigte er sie zur Zusammenarbeit, was selten vorkam. Alle Spanier hatten aus der Geschichte gelernt und suchten die Verständigung untereinander.

Es waren die Altersgenossen des Königs, die sich in jugendlicher Unbefangenheit nicht von einer sie belastenden und belästigenden Vergangenheit beirren lassen wollten. Viele von ihnen gehörten wie der König zum alten System. Deshalb konnten sie die Anhänger Francos in den Institutionen überreden, sich auf den Wandel einzulassen und auf ihre Vorrechte zu verzichten, so dass ein Umsturz vermieden werden konnte und der Übergang von einem System zum anderen wie ein organischer Entwicklungsprozess wirkte.

Der Gründungsmythos reicht bis in die Gegenwart – noch

Diese Reformer, die das gesamte System verändern wollten, suchten die Nähe zu Generationsgefährten unter Sozialisten, Republikanern und Christdemokraten. Die Gegner des alten Systems beharrten nicht auf unfruchtbarer Opposition und erlagen kaum der Verführung, mit ihrer Kritik schon immer recht gehabt zu haben. Sie packten die Gelegenheit beim Schopf, in Zusammenarbeit mit ihren ehemaligen Feinden die Spanier ein für alle Mal aus den Verstrickungen ihrer Vergangenheiten zu befreien und sie für einen gemeinsamen Weg in eine gemeinsame Zukunft zu gewinnen, in der jeder Spanier im anderen einen Gefährten erkennt, eben einen compatriota, und nicht einen geistigen Hochverräter oder vaterlandslosen Gesellen bekämpft. Das ist ihnen zusammen mit dem König gelungen.

In dieser Geschichte von Weltklugheit und Großherzigkeit besteht die heroische Geschichte, die als Gründungsmythos des neuen Spanien noch in die Gegenwart reicht. Das Geheimnis der „Kontemporaneität“, der Zusammengehörigkeit aufgrund des Alters, wirkte damals über alles Trennende hinweg. Der König erwies sich praktisch und hilfreich als wahrer Sachwalter des Staates und seiner Völker, die über den Staat allesamt zu Spaniern wurden, ohne deswegen aufzuhören, Katalanen, Basken oder Andalusier zu sein.

Der letzte legitime König war Karl III. gewesen

Nachdem Spanien in gute Verfassung gebracht worden war, zog Juan Carlos sich auf die indirekte Macht zurück, zu raten, zu empfehlen, zu warnen, die jedem Monarchen wegen langer Geschäftserfahrung mehr Einfluss erlaubt als den wechselnden Präsidenten in Republiken. Der König erfüllte vollständig die Erwartungen der Monarchisten aus Vernunft, als neutraler, überparteilicher Hüter der Verfassung zu herrschen, aber nicht zu regieren. Als solcher überzeugte er auch zunächst skeptische Bürger. Er wurde nicht zum König der Herzen, aber unbedingt zum anerkannten Repräsentanten eines in Vielfalt geeinten Spaniens, wie es die Verfassung vorsah.

Juan Carlos war der König, der das Königtum politisch rechtfertigte, also einen abstrakten Begriff mit anschaulichem Leben erfüllte. Dabei war nirgendwo die Basis des Königtums, seine historische Berechtigung, so ungewiss geworden wie gerade in Spanien. Der letzte legitime König war der aufgeklärte Selbstherrscher Karl III. Danach gab es ein Durcheinander und Miteinander von Königen, die einander wechselseitig die Legitimität absprachen, abdankten, abgesetzt wurden und in immer nur vorübergehend beruhigten Bürgerkriegen als Partei unter vielen auftraten.

Das Weltreich, in dem die Sonne nicht unterging

Es gibt unter diesen vielen Gespenstern nur einen bemerkenswerten und wirklich königlichen, großen Herren, den italienischen Prinzen Amadeo, der zwischen 1870 und 1873 als spanischer König regierte, und eine große Dame, die Erzherzogin Maria Christina, die Mutter von Alfons XIII., die siebzehn Jahre lang für den unmündigen Sohn die Regentschaft führte. Ihr gelang es, mit Hilfe kluger Minister, die Spanier wieder an die Monarchie zu gewöhnen, nicht an sie, an eine Person, sondern an eine Institution und überpersönliche Einrichtung. Damit befand sich die Habsburgerin und Österreicherin in Übereinstimmung mit den großartigsten Erinnerungen der Spanier, denn ihre habsburgischen Könige schufen den modernen königlichen Staat und gründeten das Weltreich, in dem die Sonne nicht unterging. Das Pathos der spanischen Reichssendung, die vielen Welten zu einer vereint und in der hispanidad zusammengefasst zu haben, war mit dem Königtum unmittelbar verbunden.

Die Spanier, vor allem die gedemütigten, die im 19. Jahrhundert ihr Reich verloren, vergaßen nie, ein Weltvolk gewesen und verpflichtet zu sein, ein Weltvolk zu bleiben. Diese Ideen prägten Franco. Monarchen sind vorübergehende Erscheinungen, was bleibt, das ist die monarquía española, die Erinnerung an die spanische Weltmonarchie. Spanier neigten zu keiner Zeit dazu, ihre Herrscher zu verklären. Nur mit ihrem König Karl I., dem Kaiser Karl V. für die Deutschen, trieben sie einen gewissen Kult, weil er der Caesar, el César, für sie war, der erste Weltmonarch, der die Spanier aus ihrer Provinzialität herausriss und ihnen „plus ultra“, in der Neuen Welt, weit über ihre engen Grenzen hinaus neue Ziele und Aufgaben setzte. Das Wappen des Kaisers und spanischen Königs Karl ist auch das Wappen des neuen Spanien und ziert die Fahne des demokratischen Spanien, das den Zusammenhang mit der heroischen, staatlichen Vergangenheit der monarquía española gar nicht verleugnen will. Aus gutem Grund, denn Spanien möchte auch weiterhin – über Europa hinaus – mit „seinem“ Amerika verknüpft bleiben. Nur ein König von Spanien, der alle Spanier duzt und wie Brüder und Verwandte behandelt, kann alle Iberoamerikaner selbstverständlich mit Du anreden.

Ein Symbol zwischen alten und neuen Zeiten

Der König von Spanien ist mehr als ein Repräsentant der in Spanien vereinigten Völker. Er ist (oder möchte es sein) das anschauliche Symbol der hispanidad mit ihren mannigfaltigen weltweiten Ausdrucksformen. Allerdings ist nichts so schwer, wie ein moderner Monarch zu sein, ein Amt auszufüllen, das aus vordemokratischen Zeiten stammt. Ein König kann sich nicht mehr darauf beschränken, unpersönlich wie ein Schatten aufzutreten, indem er ganz in den Formen des Zeremoniells aufgeht und mehr eine Statue ist als ein fassbares Individuum. In Zeiten, die der Menschlichkeit und den Menschenrechten höchste Bedeutung zusprechen, muss auch der König als Mensch gefallen und als unverwechselbare Persönlichkeit Eindruck machen. Es ist eine unlösbare Aufgabe, ein staatliches Symbol zu sein und zugleich ein Mitmensch, der den übrigen nicht allzu ferne bleibt, sondern als „König zum Anfassen“ mitten im Volke steht. Denn allzu menschlich darf er nicht auffallen. Demokratien, auch solche mit gekrönten Oberhäuptern, huldigen – bei aller Laxheit im Privaten – einem gewissen Puritanismus, wenn es um die führenden Männer und Frauen geht. König Juan Carlos ist kein vorbildlicher Ehemann, wegen seiner flatterhaften, wechselnden Verhältnisse nicht einmal ein großer Kavalier. Nun kommen Skandale, Fehlgriffe und der Prozess seines Schwiegersohns dazu. Er gerät in Gefahr, zur lächerlichen Figur und damit zum rey idiota zu werden. Die Krone gewährt keinen Schutz mehr, wenn der König seine eigene Würde verletzt.

Kronprinz Felipe taugt zum Hoffnungsträger

Das schadet allerdings der Institution, eben dem Königtum. Gerade wegen der zunehmenden Individualisierung und Vermenschlichung ist es für das Amt abträglich, wenn ein Amtsinhaber sich als unzulänglich erweist. Und es schadet dem Land. Die Spanier haben nur noch geringes Vertrauen in ihre Institutionen. Die Krone allein fand unumstrittene Anerkennung. Wegen vulgärer Torheiten empfängt die Krone Flecken, sie verliert ihren Glanz und damit ihre symbolische Kraft.Die Spanier sind enttäuscht von ihrem König – das Königtum hat noch eine Chance. In Gestalt von Felipe, dem Herzog von Asturien, steht ein Thronfolger bereit, dem die Spanier zutrauen, dem Amt gewachsen zu sein und es auf seine Weise mit sehr persönlichem Inhalt zu füllen.

Ein neuer Übergang ist nötig

Es wäre nicht der erste Rücktritt eines Königs in Spanien. Karl V. war der erste Kaiser und spanische König, der sich in die Privatheit zurückzog. Das war damals ein spektakuläres Ereignis. Indessen gibt es Könige in den Niederlanden oder in Belgien, die freiwillig auf die Krone verzichteten. Alles Neue gefällt. Diese Vermutung hat längst auch die Kronen erreicht, die gerade als Symbol der Dauer der flüchtigen Zeit mit ihren Abwechslungen entrückt sein sollten.

Die heroische Gründungsgeschichte des neuen Spanien ist Vergangenheit. König Juan Carlos von Bourbon ist Vertreter seiner Generation, die den Übergang in die königliche Demokratie vollzog. Zum Vorteil Spaniens ist wieder ein Übergang notwendig, diesmal ganz unspektakulär, ein Übergang zu der Generation, die im neuen Spanien aufwuchs und die bisher die Krone als moralische und politische Autorität nicht missen möchte.