Auch nach dem Krisengipfel in Genf bleibt die Lage in der Ostukraine angespannt. Die Führer der Separatisten zeigen sich von den Genfer Beschlüssen unbeeindruckt. Die USA drohen mit weiteren Sanktionen.

Donezk - Die Separatisten in der Ostukraine sind nicht bereit, die von ihnen besetzen Gebäude zu räumen. Der selbst ernannte Führer der Volksrepublik Donezk, Denis Puschilin, forderte den Rücktritt der Übergangsregierung in Kiew. Damit ist fraglich, wie viel Gewicht die Einigung von Genf hat. Auf einem Krisengipfel hatten sich die Außenminister der USA, Russlands und der Ukraine sowie die Außenbeauftragte der EU, Catherine Ashton, am Donnerstag darauf geeinigt, dass die besetzten Gebäude in der Ost-Ukraine geräumt werden und den pro-russischen Besatzern Straffreiheit gewährt wird (siehe auch Artikel unten).

 

Doch eine Entspannung war am Freitag in der Ostukraine nicht feststellbar, ganz im Gegenteil. Offenbar setzen die paramilitärischen Einheiten, von den Ukrainern „grüne Männchen“ genannt, ihren Plan weiter um. Rund um die seit einer Woche besetzte Polizeistation in Slawjansk kam es zu einem Schusswechsel, dabei soll ein Mensch getötet worden sein. Der Berater des ukrainischen Innenministers, Stanislaw Retschinki, bezeichnete die Stadt Slawjansk „als Hotspot der Auseinandersetzungen“. Immer wieder komme es dort zu Kämpfen zwischen Zivilisten und Besetzern. Am Karfreitag sei eine Protestaktion einiger Bewohner in Slawjansk von den bewaffneten Kräften gewaltsam aufgelöst worden.

Kiews Machthaber verstärken die Kontrollen

Aus Saporischschja kommen Berichte, wonach Waffenlieferungen aus der Krim über die Wasserstraße von Kertsch in die ostukrainische Region gelangt sein sollen. Die Pressestelle des ukrainischen Geheimdienstes teilte mit, man habe Kenntnis über Bewegungen kleiner Boote, die angeblich Waffen in die Ukraine bringen, um die Separatisten im Osten des Landes damit auszustatten.

Gleichzeitig werde der Sicherheitsdienst die Kontrollen in den Regionen Charkiw und Donezk verstärken. Vor allem sollen Fahrzeuge und Personen durchsucht werden. Mitte der Woche seien in mehreren Regionen der Ukraine Personen festgenommen worden, bei denen große Mengen Bargeld gefunden worden sei. Auf einem Bahnhof der Stadt Melitopol (Region Saporischschja) hätten die Sicherheitsbehörden ein Waffenlager entdeckt, dort sollen mehrere Schusswaffen, außerdem Munition und Material zum Bau von Bomben gefunden worden sein.

Antisemitische Zwischenfälle werden gemeldet

In der Stadt Donezk hatten Unbekannte Mitte der Woche ein antisemitisches Flugblatt verteilt. Die jüdische Bevölkerung wurde aufgerufen sich registrieren zu lassen und ihre Vermögensverhältnisse offenzulegen. Medien berichten, es sei beobachtet worden, wie maskierte Männer in Tarnuniformen diese Flugblätter verteilt hätten. Wer die Urheber sind, konnte auch nach Tagen nicht geklärt werden. Der Separatistenführer Denis Puschilin bestritt, der Urheber des Schreibens zu sein.

Es handele sich um eine Provokation, erklärte Rabbi Pinchas Wyschedski auf der Website der Jüdischen Gemeinde von Donezk. Berichte in israelischen und US-Medien über den Zwischenfall lösten Besorgnis aus, die prorussischen Kräfte in der Ostukraine planten eine Verfolgung der Juden. US-Außenminister John Kerry verurteilte die Pamphlete. Ein derartiges Vorgehen in der heutigen Zeit sei „mehr als nur intolerabel, es ist grotesk“, sagte er in Genf.

Scharfe Töne kommen aus Kiew

Die US-Botschaft in Kiew erklärte, es habe besorgte Nachfragen von Juden zu den Flugblättern gegeben. Die US-Organisation Anti-Defamation League zeigte sich „skeptisch bezüglich der Echtheit des Flugblatts“. In den vergangenen Monaten sei der Vorwurf des Antisemitismus in der Ukraine in zahlreichen Fällen „zynisch und politisch manipulierend“ angewendet worden, sagte ihr Chef Abraham Foxman. Russland hatte der ukrainischen Übergangsregierung wiederholt vorgeworfen, von Antisemiten und Faschisten dominiert zu sein.

Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk hat vor dem Parlament unterdessen eine dramatische Rede Richtung Russland gehalten: „Unsere Forderungen bleiben unverändert: die Krim, Donezk, Lugansk, Ternopil oder Lwiw sind ukrainisches Territorium Wladimir Wladimirnowitsch“, sagte er an den russischen Präsidenten Wladimir Putin gerichtet.

Gleichzeitig ist die Krisendiplomatie in Kiew in vollem Gang. Am Donnerstagabend reiste Elmar Brok (CDU), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, in die Ukraine. Neben Regierungsvertretern traf er sich auch mit einigen der Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen. „Die EU fordert Putin auf, sich an die Abmachungen von Genf zu halten“, sagte Brok im Gespräch mit der StZ. Europa erhöht außerdem weiter den Druck. „Wenn Putin sich nicht bewegt, wird die EU in der nächsten Woche gemeinsam mit den USA Sanktionen gegen Russland beschließen“, so Brok weiter. Am heutigen Karsamstag wird der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erneut nach Kiew reisen, für Dienstag nächster Woche ist ein Besuch des US-Vizepräsidenten Joe Biden geplant.

US-Militärs plädieren für Waffenlieferungen

Die frühere ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko appellierte an den US-Kongress, über die Vorschläge des US-Generals Wesley Clark und des ehemaligen Regierungsberaters Phillip Karber abzustimmen. Die Militärs hatten ins Spiel gebracht, der Ukraine militärische Hilfe in erheblichem Umfang zukommen zu lassen. Demnach sollen neben Kommunikationstechnik und Treibstoff auch Waffen und Militärexperten in die Ukraine geschickt werden. „Die Welt darf nicht zuschauen, wie die Ukraine zerstückelt wird. Dieser Prozess gefährdet die gesamte internationale Sicherheit“, so Timoschenko.

Wie angespannt die Sicherheitslage nun auch in Kiew ist, zeigt eine Entscheidung von Interimspräsident Alexander Turtschinow. Er ordnete für sechs Präsidentschaftskandidaten, darunter auch Petro Poroschenko und Julia Timoschenko, besondere Sicherheitsmaßnahmen an. Ab sofort sollen die Politiker rund um die Uhr bewacht werden. In den vergangenen Tagen sind zwei andere Kandidaten, Michail Dobkin und Sergej Tigipko, bei öffentlichen Auftritten angegriffen worden.