Dass sich Volker Wissing (FDP) jüngst mit der Letzten Generation getroffen hat, erhöht den Unmut Hunderter Städte, die seit Monaten versuchen, an den Verkehrsminister heranzukommen.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Nicht mehr lange, dann werden 700 Städte und Gemeinden dem Bündnis angehören. Stand 4. Mai sind 684 Kommunen der deutschlandweiten Initiative beigetreten. Ihre Forderung: dass die Ampel-Regierung in Berlin umsetzt, was die drei Regierungsparteien im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Nämlich dass Städte und Gemeinden mehr Beinfreiheit bekommen für eine zukunftsfähige Verkehrsplanung. Der Fokus des stetig wachsenden Bündnisses richtet sich vor allem auf die Geschwindigkeit, denn die Kommunen möchten gerne selbst und unbürokratisch entscheiden können, an welchen Stellen sie das Tempo für Autofahrer auf 30 Kilometer in der Stunde reduzieren.

 

Ein solches Bündnis, das inzwischen ein Drittel der Bevölkerung repräsentiert, gilt als einmalig. Und der Frust wächst, denn der zuständige Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat mit der Initiative „Lebenswerte Städte und Gemeinden“ bis heute nicht gesprochen. „Trotz mehrmaliger Anfrage“, wie Tim von Winning auf Nachfrage berichtet. Er ist Bürgermeister der Stadt Ulm, die die Initiative zusammen mit sechs anderen im Sommer 2021 gegründet hatte. „Inzwischen ist der Unmut unter den beteiligten Städten sehr groß.“

Reaktion auf das Treffen mit der Letzten Generation

Dass Wissing sich Gesprächen nicht grundsätzlich verwehrt, zeigte der vergangene Dienstag, an dem der Verkehrsminister mit Vertretern der Letzten Generation zusammenkam. Im Vorfeld des Treffens hatte Wissing betont, dass es wichtig sei, miteinander zu reden – wenngleich abzusehen war, dass er und die Klimaaktivisten inhaltlich nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen würden. „Die Gespräche mit der Letzten Generation sind die Entscheidung des Ministers“, sagt der Ulmer Bürgermeister dazu. „Ich finde es allerdings durchaus enttäuschend, dass offensichtlich ein Gespräch mit Aktivistinnen und Aktivisten für relevanter gehalten wird als das Gespräch mit einer Initiative, die mehr als 30 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner von Deutschland repräsentiert.“ Stellt sich die Frage, ob sich die Vertreter der Städte-Initiative erst auf die Straße kleben müssen, um zu Wissing durchzudringen?

Eine Antwort hierauf bleibt das Verkehrsministerium schuldig. Zwar reagierte die Pressestelle auf die Anfrage unserer Redaktion, allerdings nur mit Allgemeinplätzen und ohne auf die Priorisierung seiner Treffen mit Gruppen und Initiativen einzugehen. Man habe vor einem Jahr eine Länderarbeitsgruppe eingerichtet, heißt es aus dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV). Die Ergebnisse seien Ende November 2022 vorgestellt worden. „Nunmehr werden sie im BMDV zunächst unter anderem rechtlich geprüft, bevor über deren Umsetzung zu entscheiden ist.“ Dies habe das Ministerium der Initiative „auch auf Ebene des Parlamentarischen Staatssekretärs im November 2022 mitgeteilt“, schreibt die Sprecherin.

Initiative: nicht überall Tempo 30 einführen

Grundsätzlich gelte: „Das BMDV ist auch mit Blick auf Regelungen zu Tempo 30 offen für unterschiedliche Lösungsansätze“, so die Sprecherin. „Nicht überzeugt ist das BMDV aber von flächendeckendem Tempo 30 oder Geschwindigkeitsbeschränkungen in Durchgangsstraßen.“ An dieser Stelle könnte ein persönliches Gespräch unter Umständen helfen, grundlegende Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. „Bei Herrn Wissing scheint immer noch nicht angekommen zu sein, dass von der Initiative gar keine vollständige Regelumkehr gefordert wird“, erklärt der Ulmer Bürgermeister Tim von Winning. „Es geht nicht darum, überall in der Stadt nun Tempo 30 zur Regelgeschwindigkeit zu machen.“ Vielmehr gehe es um Einzelfälle. „Obwohl die Initiative immer wieder deutlich auf diesen Punkt hingewiesen hat, wird Herr Wissing nicht müde, immer das andere zu behaupten.“