Gewerkschaften rufen zur 1.Mai-Kundgebung am Samstag in Sindelfingen auf – und das ganz bewusst vor der Amazon-Baustelle in Darmsheim.

Sindelfingen - Im vergangenen Jahr ist die 1. Mai-Kundgebung der Pandemie zum Opfer gefallen. Dieses Jahr soll der Tag der Arbeit wieder begangen werden – mit strengem Abstand, Masken, also den Hygieneregeln. Deutscher Gewerkschaftsbund, IG-Metall, die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft rufen zur Teilnahme am Samstag in Sindelfingen auf. Ihr Pressegespräch haben sie dabei am Mittwoch bewusst an einen für sie symbolbeladenen Ort gelegt – das im Bau befindliche neue Vertriebszentrum von Amazon in Darmsheim.

 

Dem US-Onlinehandelsgiganten wirft Verdi vor, „unterirdische Arbeitsbedingungen“ zu haben. Zwar habe mittlerweile fast jeder Amazon-Standort in Deutschland einen Betriebsrat, sagt Sidar Carman, als Verdi-Sekretärin zuständig für das US-Unternehmen. Doch die Arbeitnehmervertretungen hätten keinen leichten Stand. „Amazon tritt als regelrechter Gewerkschaftshasser auf“, so die 42-Jährige.

Über dem Mindest-, aber unter dem Tariflohn

Sidar Carman kündigt an, man werde sich zur Eröffnungsfeier von Amazon Darmsheim im Herbst Gehör verschaffen. Sobald auch nur ein Beschäftigter oder eine Beschäftigte Mitglied bei Verdi wird, habe sie ein Zutrittsrecht in den Betrieb. Also ein leichtes Unterfangen? Sidar Carman weiß es nicht. Unter den angeblich 200 Teil- und Vollzeitbeschäftigten in der Halle seien garantiert viele Neueingestellte mit befristeten Arbeitsverträgen – nicht zu verwechseln mit der Probezeit, in der Kündigungsschutz besteht. Dementsprechend werde vielen der Mut fehlen, für ihre Interessen hinzustehen, befürchtet die für den Einzel- und Versandhandel zuständige Gewerkschafterin.

Über dem Mindest-, aber auch unter dem Tariflohn

Man habe acht Jahre Erfahrung im Kampf mit diesem Unternehmen – „überwiegend prekäre“. Sidar Carman ärgert sich „über das neoliberale Credo, alles, was Arbeit schafft, sei auch sozial: Dem erteilen wir eine klare Absage“. Zwar liegt der im Netz zu findenden Amazon-Stundenlohn von 11,10 Euro 1,60 Euro über dem Mindestlohn. Aber Amazon – zwar Mitglied im Handelsverband Deutschland HDE, aber nicht in der Tarifbindung – zahle nicht das in der Branche sonst Übliche; „im Schnitt je nach Tätigkeit 15 Euro“. Und Zuschläge seien geknüpft an hohe Leistungsanforderungen, die gerade zu Pandemie- und Online-Boom-Zeiten „zur reinsten Hetze“ gerieten.

Schlechte Arbeitsbedingungen

Auch die Arbeitsbedingungen für die Fahrer(innen) schätzt Sidar Carman als fatal ein. Letztlich säßen „in diesen modernen, nachhaltigen Elektroautos Hungerleider“. Mit Sorge beobachte sie eine immer weitergehende Tendenz auch in anderen Branchen, Zulieferungen outzusourcen, um Risiken auf andere abzuwälzen und Kosten zu sparen.

Es gäbe am Samstag unter dem Motto „Solidarität ist Zukunft“ mithin viel zu thematisieren, sagten am Mittwoch Bernhard Löffler, Geschäftsführer des DGB Region Nordwürttemberg, der Vize-Kreisvorsitzende Georg Patzek, IG-Metall-Daimler-Betreuer Tom Wolters und Farina Semmler, stellvertretende GEW-Landesvorsitzende.

Der Demonstrationszug setzt sich am 1. Mai um 12.15 Uhr ab dem Grünen Platz in der Sindelfinger Mercedesstraße in Bewegung und führt um 13 Uhr zur Kundgebung auf dem Marktplatz mit GEW-Landeschefin Monika Stein und Afropop von Thabile aus Soweto, Südafrika. Mit dem Zuspruch der vergangenen Jahre rechnen die Gewerkschaften nicht. Eine Bewirtung entfällt auch. Aber „mit Abstand Flagge zeigen“ – das wollen sie dennoch.