Das Ermittlungsverfahren gegen den Auschwitz-Wachmann Johann Breyer schlägt hohe Wellen. Nicht nur die Zentrale Stelle in Ludwigsburg befürchtet die „biologische Lösung“.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ludwigsburg/Weiden - Es ist Eile geboten, aber keine Eile erkennbar. Im vergangenen August hat die Staatsanwaltschaft in Weiden Ermittlungen gegen einen ehemaligen Auschwitz-Wachmann eingeleitet – auf Basis von

 

Recherchen der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Jetzt sieht sich die Behörde in der Oberpfalz dem Vorwurf ausgesetzt, sie habe eine „Verzögerungsmaschinerie“ aufgebaut. Das sagt zumindest der Kemptener Rechtsanwalt Thomas Walther, der in dem Verfahren sechs Auschwitz-Überlebende aus Deutschland, England, Ungarn und den USA vertritt.

Walther ist pensionierter Richter und arbeitete bis 2009 selbst für die Zentrale Stelle, wo er die Recherchen über den Mann anstieß, gegen den jetzt in Weiden ermittelt wird. Johann Breyer soll dabei geholfen haben, in Auschwitz 344 000 Menschen zu töten. „Aber in Weiden ist man langsam – und wartet wohl auf die biologische Lösung“, sagt Walther, und meint: auf das Ableben des Beschuldigten.

Dieser ist 87 Jahre alt und wohnt in den USA. Gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press erklärte Breyer unlängst, er sei unschuldig. Er sei zwar Wachmann in Auschwitz gewesen, nicht aber im Lager Auschwitz-Birkenau, dem eigentlichen Vernichtungslager.

Zweifel an Breyers Unschuldserklärung

Es sind allerdings Dokumente aufgetaucht, die Zweifel an dieser Schilderung zulassen. In einer Akte der Waffen-SS wird im Zusammenhang mit Breyer das Lager Birkenau genannt. Ein weiterer Vermerk deutet darauf hin, dass er deutlich länger in Auschwitz war, als er zugibt. Die Staatsanwaltschaft versucht zurzeit, an die Originalakten zu gelangen. „Wenn man darauf wartet, kann man den Prozess vergessen“, sagt Walther. Eines der Dokumente befindet sich in Moskau. „Kein Land dieser Erde erhält aus einem ehemaligen sowjetischen Archiv ein Original.“ In Weiden werde einfach nicht mit der notwendigen Leidenschaft ermittelt.

Der so kritisierte Oberstaatsanwalt weist dies zurück. „Wir tun, was wir für notwendig halten“, sagt Gerd Schäfer. Natürlich wisse man um das hohe Alter des Beschuldigten. „Aber wir müssen unsere Aufgaben erledigen.“ Man gehe nicht mit Kopien in einen Prozess, wenn die Originaldokumente noch vorhanden seien.

Eine Befragung der Nebenkläger dauert ewig

Auch der Umgang mit den Nebenklägern irritiert. Die Staatsanwaltschaft hat entschieden, dass die ehemaligen KZ-Häftlinge befragt werden müssen, was erhebliche Zeit in Anspruch nehmen wird – bei ausländischen Staatsangehörigen muss dazu zunächst ein Rechtshilfeersuchen gestellt werden. „Völlig absurd“, kritisiert Walther, der fast täglich mit den Opfern über die weitere Vorgehensweise berät. „Keiner von denen kann etwas über Johann Breyer berichten, sondern nur allgemein über das Lager sprechen.“ Die dort begangenen Verbrechen seien aber längst erforscht. „Die Staatsanwaltschaft muss nicht mehr recherchieren, dass in Auschwitz furchtbare Dinge geschehen sind.“

In Weiden sieht man das anders. „Wenn es möglich ist, mit Zeugen zu sprechen, müssen wir das tun“, sagt Schäfer. Wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist, ob Anklage erhoben wird? „So schnell wie möglich.“ Kurt Schrimm, der Leiter der Zentralen Stelle, drückt sich zwar diplomatischer aus als sein früherer Mitarbeiter Thomas Walther, kann aber nicht verbergen, dass auch er Angst vor der biologischen Lösung hat. „Ich bin der Auffassung, dass unsere Ermittlungen ausreichend sind“, sagt Schrimm. Demnach hat Breyer beim Absperren der Rampe und beim Wachdienst im Lager Birkenau „einen kausalen Beitrag“ zu den Morden in Auschwitz geleistet. „Ich kann aber verstehen, dass die Staatsanwaltschaft ganz sichergehen will“, sagt Kurt Schrimm.

Dabei geht es seit dem Urteil des Münchner Landgerichts gegen John Demjanjuk aus dem Jahr 2011 nicht mehr darum, konkrete Einzeltaten nachzuweisen. Demjanjuk war ebenfalls KZ-Wachmann und wurde als solcher wegen Beihilfe zum Mord zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Seitdem sei es leichter, Verbrecher vor Gericht zu bringen, sagt Thomas Walther, der auch an den Ermittlungen gegen Demjanjuk maßgeblich beteiligt war. „Ich hoffe, dass man diese Gelegenheit in Weiden nicht verstreichen lässt. Die Opfer haben etwas anderes verdient.“

Noch ein Auschwitz-Wächter im Visier

Die Stuttgarter Justiz steht womöglich ebenfalls vor einem spektakulären Prozess. Die dortige Staatsanwaltschaft ermittelt seit November gegen einen weiteren Auschwitz-Wächter, und auch dieser Fall kam nach Recherchen in Ludwigsburg ins Rollen. Details sind nicht bekannt, was daran liegt, dass der Name des Beschuldigten geheim gehalten wird – aus gutem Grund. Der Mann weiß offenbar nicht, dass ihm eine Anklage droht, und das soll vorerst so bleiben. „Wir arbeiten mit Nachdruck an dem Verfahren“, heißt es aus Stuttgart.