Eine Kunststudentin versucht das scheinbar Unmögliche: Mit ihrer „Echokammer für Gleichgesinnte“ macht sie das Kommunikationsproblem von sozialen Netzwerken für Besucher des Stuttgarter Kunstmuseums körperlich erfahrbar.

Stuttgart/Waiblingen - Manchmal, wenn die Studentin Leonie Lass das Kunstmuseum Stuttgart betritt, um dort zu arbeiten, hält sie kurz inne: Seit wenigen Tagen ist dort eine ihrer Arbeiten in der Schau „Protestbereitschaft“ zu sehen. „Dass man während des Studiums so eine Chance hat, ist nicht alltäglich“, sagt die 22-Jährige. Und obwohl es nicht die erste große Ausstellung für sie ist, hat sie sich an dieses Gefühl noch immer nicht gewöhnt. „Es fühlt sich surreal an.“ Es macht sie aber auch stolz.

 

Die Reaktionen auf die Installation sind gemischt

Tatsächlich ist ihre Arbeit „Echokammer für Gleichgesinnte“ ein zentrales Element der Ausstellung im Erdgeschoss. Unter dem Titel „Protestbereitschaft“ sind Arbeiten von 27 Studierenden der Kunstakademie Stuttgart und der Hochschule Pforzheim zu sehen, die sich mit unterschiedlichen Aspekten von Protestbewegungen auseinandersetzen. Leonie Lass hat ihre würfelförmige Kammer für diese Schau konzipiert: einen Kubus aus alubeschichteten Dämmplatten, aufgebaut wie ein Schneckenhaus. Der Eingang lässt gerade genug Platz für eine Person und offenbart nicht, was einen im Inneren erwartet.

Immer wieder beobachtet die gebürtige Waiblingerin Besucher, wenn sie die „Echokammer“ betreten. Viele würden ernüchtert dreinschauen, wenn sie die Kammer wieder verlassen, sagt Lass, die eigentlich Leonie Weber heißt, sich für die Arbeit als Künstlerin aber einen neuen Namen zugelegt hat. Diese Reaktionen wunderten sie nicht, im Gegenteil: Schließlich passiere in ihrer Kammer auch nichts. „Man trifft dort höchstens auf das Echo der eigenen Erwartungen.“

Sie gibt einem Phänomen Gestalt, das schwer zu verstehen ist

Das Phänomen der Echokammern beschäftigte Lass schon, bevor sie zur Klasse von Christian Jankowski stieß. Für eine Ausstellung in Leipzig setzte sie zwei Smartphones in eine Mikrowelle und ließ sie in einer Endlosschleife wählen. An diese erste Arbeit knüpfte sie mit dem Konzept für die aktuelle Installation an.

Der Begriff Echokammer bezeichnet ein Phänomen, das erst durch die Kommunikation der sozialen Medien zum Problem geworden ist: Wer sich dort nur unter Gleichgesinnten aufhält, wird in seinen eigenen Ansichten bestärkt. Die Toleranz gegenüber Andersdenkenden nimmt ab. „Mir war es wichtig, das Gestalt annehmen zu lassen“, sagt Lass. Wie sehr das Material den Effekt einer solchen Echokammer versinnbildlicht, hat sie während der Arbeit an der Installation immer wieder überrascht: Die Dämmplatten geben auf Druck nach, es zeichnen sich also die Spuren aller Besucher ab, die in der Kammer waren. Die Künstlerin findet das faszinierend. Beim Aufbau mit Helfern aus der Familie merkte sie außerdem, wie gut die Dämmplatten isolieren – sehr schnell sei zu spüren gewesen, wie sich die Kammer durch Körperwärme aufgeladen habe. Wer sich mit dem Konzept der Echokammer also schon auseinandergesetzt hat, der wird die Kammer von Leonie Lass nicht enttäuscht verlassen. Die körperliche Erfahrung in einer solchen Echokammer ist nachhaltig.

Ginge es nach Leonie Lass, wäre es schön, sie könnte die Kammer auch noch einmal im öffentlichen Raum aufbauen, wo sie für alle Menschen zugänglich wäre. Zum Beispiel auf dem Cannstatter Wasen – einem Ort, an dem vieles stattfindet, was in der Ausstellung „Protestbereitschaft“ reflektiert wird. Sie ist noch bis 16. Januar zu sehen.

Mehr zur Künstlerin online www.leonie-lass.com www.kunstmuseum-stuttgart.de