Vor einem Jahr ist die private Künstlersoforthilfe gegründet worden. Sie hat inzwischen mehr als 850 000 Euro gesammelt. Und der Kreis ihrer Unterstützer wächst weiter.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Nenne drei Dinge, die vom Lockdown positiv in Erinnerung bleiben werden: der kondensstreifenarme Himmel, die Möglichkeit zum Homeoffice, die Künstlersoforthilfe . . .

 

Letztere ist vor fast genau einem Jahr als private Initiative aus der puren Not heraus entstanden. Joe Bauer, langjähriger Kolumnist der Stuttgarter Nachrichten, beschloss, mit dem Kulturmanager Peter Jakobeit etwas für die Leute zu tun, deren Kunst nie brotloser war als während des Lockdowns. Unbürokratisch und schnell wollten sie Geld einsammeln, um es an jene zu verteilen, die von der Kunst nicht mehr leben konnten, darunter auch Lebenskünstler, weil es von heute auf morgen keine Öffentlichkeit mehr gab, in der sich Kunst betätigen konnte. Es ging ihnen schlicht darum, „Kühlschränke zu füllen“, wie Bauer sagt.

Viele Firmen haben nennenswerte Beiträge beigesteuert

Eine kurzfristige Angelegenheit sollte es sein, jetzt ist ein ständiges Angebot daraus geworden, das weit über Stuttgart hinaus Aufmerksamkeit findet; sogar die Hamburger „Zeit“ widmete der Künstlersoforthilfe einen Beitrag, was auch damit zu tun hat, dass die Initiative ohne Werbemittel, dafür mit einer tiefen Überzeugung die beachtliche Summe von mehr als 850 000 Euro an Spenden zusammengetragen hat. Eine Daueraufgabe soll es dennoch nicht werden, denn das bedeutete ja, dass die Kunst dauerhaft am Tropf hinge.

Ein Merkmal der Künstlersoforthilfe ist ihre Spontanität und Unmittelbarkeit – ergänzend zu dem, was eher zähflüssig an Landeshilfen fließt. Wer etwas braucht, bekommt etwas. Auf Vertrauensbasis, ohne große Formalien. Das Geldeinsammeln und -verteilen läuft über einen bestehenden Verein.

Empfänger sind potenziell alle, die zum kulturellen Leben in der Stadt beitragen – von der Berufsmusikerin bis zum Tontechniker, vom Beleuchter bis zu Beschäftigten in Spielstätten und Studierenden aus dem Kulturbereich. Diese Form der Hilfe findet nicht nur dankbare Abnehmer, sondern auch aktive Unterstützer aus allen Kreisen der Stadtgesellschaft. Längst auch aus der Wirtschaft. Viele Firmen haben nennenswerte Beträge beigesteuert, um die Kulturszene über Wasser zu halten.

„Beifall, Ausfall, Notfall“ – ein schöner Einfall

Oft kommt die Unterstützung unverhofft. Vor wenigen Wochen meldete sich das Bureau Progressiv bei Joe Bauer, eine junge Werbeagentur aus dem Stuttgarter Westen. Sie bot an, Plakate für die Künstlersoforthilfe zu gestalten. „Beifall, Ausfall, Notfall“, lautet der Slogan. Ein schöner Einfall. Philipp Staege und Benjamin Kivikoski, beide Kommunikationsdesigner, wollen mit ihrem Beitrag zur „Sichtbarkeit der Künstlersoforthilfe in der Stadt beitragen“. Schon in den nächsten Tagen wird der Schriftzug „Beifall, Ausfall Notfall – Für in Not geratene Menschen aus der Kulturarbeit“ vielerorts in der Stadt aufscheinen.

Er dürfte nicht zu übersehen sein. Auch deshalb, weil sich dafür viele Partner engagieren. Die Wall GmbH etwa, die das Kleben der 430 Großplakate übernimmt – kostenfrei, versteht sich; die Druckkosten zahlt die Firma „POIS – Natürlich Portugal“. Partner ist auch die Stadtkultur Stuttgart GmbH. Sie wird ihrerseits 170 Plakate aufhängen, die das Druckhaus Stil + Find unentgeltlich druckt. Das Stuttgarter Kulturamt hilft ebenfalls mit; es stellt 90 Plakatflächen in der Stadt zur Verfügung.

„Das Ganze kostet uns keinen einzigen Cent“, betont Joe Bauer. „Die Spenden fließen weiterhin vollständig an die, die es brauchen.“ Seine Hoffnung ist, dass weiterhin genügend Geld zusammenkommt und von der Initiative über Corona hinaus etwas bleibt: der solidarische Gedanke und das Bewusstsein für die gesellschaftliche Bedeutung von Kulturarbeit. Und das darf dann doch gerne von Dauer sein.

Wer spenden möchte: Künstlersoforthilfe, IBAN: DE 21 4306 0967 7005 4549 00, Empfänger: Kultig e.V. GLS-Bank