Experten sehen in der Technologie für Künstliche Intelligenz einen Milliardenmarkt. Doch wer kontrolliert und regelt die von Programmierern geschaffenen Algorithmen? Schließlich kann es auch um Leben und Tod gehen.

Geld/Arbeit: Daniel Gräfe (dag)

Barcelona - Es sind ungewöhnliche Töne, die man derzeit auf der Mobilfunkmesse in Barcelona aus der Technologiebranche hört: „Wir sind an einem Wendepunkt“, sagt Mark Foster, Vizepräsident von IBMs riesiger Global-Business-Services-Sparte. Man müsse Künstliche Intelligenz (KI) ethisch und verantwortungsbewusst nutzen und ihre Algorithmen transparent machen, und ja: Man brauche Regulierung.

 

An den Messeständen wird das „Schneller, weiter, mehr“ bei der KI beschworen, die mit ihren Lösungswegen ganze Branchen revolutionieren soll. Auch deshalb verweisen die Analysten lautstark auf den künftigen Milliarden-Markt. Doch auf den Messe-Konferenzen schlagen namhafte Technologieexperten und Politiker leisere Töne an. Der Tenor ist auch für die Verbraucher wichtig: Man müsse für das Spiel mit den unbegrenzten maschinellen Möglichkeiten endlich Spiegelregeln schaffen, mahnt Angel Gurria, Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). „Künstliche Intelligenz muss weniger künstlich und mehr intelligent sein“, sagt er. Es gehe dabei um nichts weniger, als das Vertrauen der Menschen zu gewinnen.

Oft kennen sich nur die Programmierer aus

Was Foster, Gurria und anderen Sorgen bereitet: Oft wissen nur die Programmierer selbst, wie die von ihnen geschaffene Künstliche Intelligenz funktioniert – auch wenn sie Auswirkungen auf das Leben vieler hat. Ändert Google seinen Suchalgorithmus im Internet, geht es mit der Positionierung auch mit manchem Geschäftsmodell bergab. Facebook zeigt den Nutzern das an, was sie ohnehin am liebsten sehen. Vieles, was die Messestände präsentieren, erscheint im Vergleich dazu weniger spektakulär. Und doch zeigt so manches Geschäftsmodell die Problematik, die sich im Umgang mit KI ergibt. So ermittelt ein israelisches Unternehmen via intelligenter Gesichtserkennung, ob ein Mensch aufmerksam ist oder nicht. Auf eine Autofahrt angewandt, kann das KI-System potenziell Leben retten: Blinzelt der Fahrer zu häufig oder schließt zu lange die Augen, ertönt ein Alarm. In der Werbeindustrie hat das Hilfsmittel jedoch Nachteile: Ein Werbespot wird auch dann nicht als erfolgreich verbucht, wenn der beobachtete Zuschauer vermeintlich unaufmerksam den Kopf senkt – obwohl er gerade den Namen des Produkts notiert.

Das System eines japanischen Start-ups wiederum will mittels Sprachanalyse bestimmen, ob ein Mensch zornig, froh oder ausgeglichen ist – unabhängig davon, welche Sprache er spricht. Ein japanisches Telemarketing-Unternehmen nutze die Software bereits, um die Stimmung der Kunden und Vertreter erkennen und besser auf sie einzuwirken zu können. Aber können KI-Algorithmen menschliche Emotionen tatsächlich auf wissenschaftlich seriösen Grundlagen erfassen?

Kritische Fragen

Gerade hierzulande würden Fragen wie diese gestellt, heißt es beim IT-Branchenverband Bitkom. Besonders, wenn es bei KI um Fragen wie Leben und Tod gehe. Soll ein autonom fahrendes Auto einem Kleinkind oder einem Rentner ausweichen, wenn diese von unterschiedlichen Seiten auf die Straße laufen? Und wie kann verhindert werden, dass die Kreditwürdigkeit von Verbrauchern falsch berechnet wird? In der EU sucht eine Kommission nach Antworten auf solche Fragen und wie man Regeln definierten kann. „Die ethische Debatte wird auf EU-Ebene derzeit sehr, sehr heiß geführt“, sagt Kristin Strauch, Bitkom-Referentin Künstliche Intelligenz. Und fügt hinzu: Wenn man Algorithmen regulieren wolle, müsse das möglichst schnell geschehen. Fragen dazu würden in Europa anders diskutiert als etwa in China.

Dabei spielen auch Geld und die Jagd nach neuen Geschäftsmodellen eine große Rolle, die die Mobilfunkmesse am stärksten umtreiben. Allein in Europa könnte der Markt für KI von rund drei Milliarden Euro in diesem Jahr auf bis zu zehn Milliarden Euro im Jahr 2022 wachsen. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine Studie des europäischen IT-Branchenverbandes EITO. Doch was tun, wenn die Konkurrenz aus den USA und China bei ihren KI-Dienstleistungen und -Produkten vorprescht und sich weniger um Datensicherheit und ethische Standards kümmert und Konzerne wie Alibaba, Huawei, Amazon und Facebook jährlich Milliarden in KI investieren?

Branchenexperten bescheinigen deutschen Universitäten und Firmen viel Potenzial bei der Grundlagenforschung. Doch bei der Anwendung halte man nicht Schritt mit der Konkurrenz , weil die Hürden dafür höher seien. Beim Spagat zwischen Ethik und Milliarden-Markt tut man sich hierzulande schwer.