Die Bachwoche 2020 in Stuttgart ist abgesagt worden, die nächsten Konzerte in der Liederhalle oder im Wizemann finden statt, und im Literaturhaus wird mit Hilfe digitaler Technik improvisiert: Wie reagieren die Stuttgarter Kulturinstitutionen auf die Corona-Epidemie?

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Wer sich für den Montagabend die Lesung des israelischen Autors Nir Baram im Literaturhaus vorgemerkt hatte, musste umdisponieren: Der Schriftsteller, der seinen Roman „Erwachen“ in Stuttgart vorstellen wollte, sei nicht aus Tel Aviv ausgereist, weil er sich sonst eine zweiwöchige Rückkehrsperre eingehandelt hätte, berichtet die Leiterin des Literaturhauses, Stefanie Stegmann. Gleich einen ganzen Veranstaltungsreigen abzusagen, sah sich die Internationale Bachakademie Stuttgart gezwungen: Sie teilte am Montag mit, dass die Bachwoche 2020, geplant von 13. bis 21. März, nicht stattfinden werde. „Die Gesundheit unseres Publikums, der Künstler und unserer Mitarbeiter hat für uns oberste Priorität“, sagt die Geschäftsführende Intendantin Katrin Zagrosek.

 

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Wie reagieren die Stuttgarter Kulturinstitutionen auf die Corona-Epidemie? Die Absagen mehren sich, wirtschaftliche Einbußen nehmen die Veranstalter und Kulturanbieter in Kauf – die Gesundheit geht in dem Fall vor. Generell ist die Aufmerksamkeit für die Problemlage hoch, gleichzeitig wird mit Gelassenheit und Kreativität vorgegangen, wie eine Umfrage bei einer Reihe von Einrichtungen ergibt. Beim Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg verweist der Pressesprecher Roland Böhm auf die zu Wochenbeginn ergangene Empfehlung des Landesgesundheitsministers Manne Lucha (Grüne). Der hatte sich einem Appell von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angeschlossen und dazu geraten, Veranstaltungen ab 1000 Teilnehmern im Land abzusagen. „Der Gesundheitsminister ist der erste Ansprechpartner in dieser Frage, seiner Empfehlung schließen wir uns an.“

Eine Empfehlung ist keine Anordnung

Eine Empfehlung ist für manchen noch keine Anordnung. So sind für Paul Woog, Geschäftsführer des Klassik-Konzertveranstalters SKS Russ, „offizielle Vorgaben seitens der Gesundheitsbehörden“ entscheidend. Solange keine behördlichen Anordnungen ergangen seien, gebe es keinen Grund, Konzerte abzusagen. Den Konzertbesuchern stelle man Angebote für eine erhöhte Hygiene zur Verfügung, etwa am Eingang platzierte Desinfektionsspender. Ähnlich die Sichtweise von Hans-Peter Haag, Geschäftsführer des Veranstalters Musiccircus: „Wir warten auf eine offizielle Richtlinie seitens der Gesundheitsbehörden; eine Empfehlung stellt für uns keine Aussage dar, das lässt alles offen.“

„Alles findet statt wie geplant“ – diese Nachricht hat Katharina Parpart, Pressesprecherin des Schauspiels Stuttgart, für die Zuschauer. Für das Haus seien die Anweisungen des Sozialministeriums maßgebend. Angesichts des rund 660 Plätze fassenden Saals im Schauspielhaus liege man unter der 1000er-Grenze. „Intern wie extern raten wir dazu, die Hygieneempfehlungen zu beachten, ansonsten versuchen wir entspannt zu bleiben“, so Parpart.

Das Literaturhaus setzt auf Skype

Bei der Staatsoper Stuttgart, wo am Freitag die Mozart-Oper „Le Nozze di Figaro“ auf dem Spielplan steht, will man sich mit dem Kunstministerium beraten, denn mit 1400 Plätzen sprengt der Opernsaal die Tausender-Marke. Die verstärkte Reinigung von Türgriffen und Aufzugsknöpfen, die Thomas Koch, Direktor für strategische Kommunikation, zudem als Maßnahme anführt, nennt auch das Kunstmuseum. Sprecherin Isabel Kucher: „Bisher läuft der Museumsbetrieb regulär, wir halten aber Mitarbeiter und Besucher zu erhöhter Vorsicht an.“ Man stehe in Kontakt mit der Stadt und entscheide „tagesaktuell“ über mögliche Schritte.

„Jede U-Bahn-Fahrt ist riskanter als ein Museumsbesuch“, sagt Christiane Lange, die Direktorin der Staatsgalerie Stuttgart, „wir haben ja keine große Menschenansammlungen in unseren Ausstellungssälen“. Intern beschränke man Besprechungen und etwa Dienstreisen auf das Notwendige, „hier verhalten wir uns so, wie es das Kunstministerium vorgibt, so die Direktorin.

Spontaneität und Improvisationskunst beweist das Literaturhaus bei der zweiten Veranstaltung in dieser Woche: Die Schriftstellerin Helena Janeczek lebt in der Nähe von Mailand – also in der Sperrzone. Ihre Lesung am Mittwoch findet aber statt: „Wir werden eine Skype-Schaltung einrichten und auf diese Weise die Autorin in Stuttgart haben“, sagt Stegmann. Weitere Prognosen wagt die Literaturhaus-Leiterin nicht: „Wir leben von Tag zu Tag.“