Museen, Baukunst, Theater, Neue Musik, internationale Stars, junge Avantgarde: Kultur gibt es in Basel im Überfluss. Woher kommt dieser Reichtum der Rheinstadt? Eine Spurensuche.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Basel - Tram 6, Haltestelle Fondation Beyeler. Zwanzig Fahrminuten von der Schifflände im Zentrum, und das meistbesuchte Kunstmuseum der Schweiz ist erreicht. Bis vor kurzem war Paul Klee der Magnet, nun ist es Georg Baselitz, dem zum achtzigsten Geburtstag eine große Retrospektive gewidmet ist. Die Fondation Beyeler, 1997 vom Sammler- und Stifterpaar Beyeler im Dorf Riehen ins Leben gerufen, ist ein Muss für jeden Basel-Besucher. Englischer Park, sanfte Weinhügel, Zwiesprache mit der Landschaft haltende Architektur und Kunst von Weltrang: eine ungeheuer reizvolle Kombi.

 

Im Dorf Riehen gelegen und damit Teil des Kantons Basel-Stadt, ist das Museum das wohl schönste Symbol für Basels Selbstverständnis. Die drittgrößte Schweizer Stadt ist so einiges: Rheinstadt, Chemiestadt, Forschungsstadt, Messestadt, Tramstadt. Als allererstes aber ist sie: Kulturstadt. Nirgendwo sonst in dem Alpenstaat dürfte es so viele Museen, Galerien, Projekträume, Theater, soviel herausragende zeitgenössische Baukunst, so viele Konzerthallen und Off-Spaces auf so engem Raum geben wie in Basel. Die Wunschvorstellung, in wenigen Tagen alles sehen, erleben zu können, entlarvt das Tourismusbüro mit dem Slogan „Basel – Culture unlimited“ als naiv.

Wir schaffen einiges: den sich auf einer riesigen Metallscheibe drehenden „Woyzeck“ im Theater Basel, das Grafik-Genie Christoph Niemann im Cartoonmuseum, sperrige Avantgarde-Kunst im Ausstellungsraum Klingental. Und die originelle und sehr empfehlenswerte Schau „Aufgetaucht“ im Historischen Museum, die unglaubliche Wasserfunde aus dem Rhein zeigt. Ein Abend mit Pop oder Performance in der Kaserne Basel? Das Neue-Musik-Juwel Gare du Nord? Die restlichen der fast vierzig Museen? Wir kommen wieder.

Kultur-Areal 5.0. – der Dreispitz

Was aber steckt hinter dem Kulturreichtum? Wieso ist Basel bereit, mit jährlich mehr als 1000 Franken pro Kopf mehr als andere Schweizer Kantone für Kultur auszugeben? Auf der Suche nach Antworten cruisen wir mit der grünen Tram, wie für die meisten Basler unser Fortbewegungsmittel der Wahl, kreuz und quer durch die Stadt. Draußen in Riehen sagt der Direktor Sam Keller, dass in Basel eben „Handel, Forschung und Kultur“ auf besondere, sich gegenseitig fördernde Weise zusammenträfen, das Mäzenatentum käme da nur noch „on top“. Und: „Die Kulturinstitutionen arbeiten zusammen. Wir müssten das nicht, tun es aber – und zwar gerne.“

Auch Chus Martínez führt die Basler Kulturpracht zumindest zum Teil auf diesen Willen zur Kooperation zurück. Vom Norden sind wir in den Südosten gefahren, mit der Tram 11 zum Dreispitz. Das Logistik- und Gewerbeareal wird gerade mit den Sparten Wohnen, Bildung und Kultur zu einem Stück Basel 5.0. urbanisiert. Was mal Zollfreilager war, ist jetzt Campus der Künste, mit Galerien, Ateliers und der Hochschule HGK. Spontan führt die Leiterin des Kunstinstituts durch Lernstudios, Werkstätten, Ateliers – hochmodern, digital, alles tiptop. Auf den Freiflächen zwischen sanierten Lagerhallen und funkelnder Beton-Glas-Architektur, darunter auch das Archivgebäude der Basler-Renommierarchitekten und Elbphilharmonie-Planer Herzog und de Meuron, verbringen Studenten in Outdoor-Lounge-Sesseln ihre Mittagspause. Von den Bibliotheksfenstern zeigt Martinez noch hinüber zum Schaulager, ebenfalls von HdM entworfen, wo gerade eine große Bruce Nauman-Schau vorbereitet wird.

Legendärer Volksentscheid für die Kunst

Dass in Basel aber eben nicht nur die große internationale Kunst etwas zähle, sondern auch jungen lokalen Kreativen und experimentellen Kulturformen eine Plattform geboten werde, etwa mit Zwischennutzungen, Off-Spaces und Projekträumen, hält die Rektorin für einen „gesunden Kulturansatz“. Im nur einen Steinwurf von ihrem Büro entfernten Haus der elektronischen Künste (HeK) fällt eine kleine Wandaufschrift ins Auge: „Das HeK bedankt sich für die Realisierung des Neubaus (...)“ beim Bund, der Stadt, zwei Stiftungen – und einem „anonymem Spender“. Das Basler Mäzenatentum also, das schon Sam Keller ins Spiel gebracht hatte. Darüber wollen wir mehr wissen. Per Tram geht’s nun zum Kunstmuseum. Hier wird der bereits erwähnte Gemeinschaftssinn lebendig: Gerade angelaufen ist Baselitz auf Papier, parallel zur Retrospektive der Fondation Beyeler. Das auf drei Häuser verteilte Kunstmuseum ist aber auch die richtige Adresse, um dem historischen Fundament des Basler Kulturreichtums und eben dem Mäzenatentum nachzuspüren.

Denn das von Josef Helfenstein geführte Haus kann sich rühmen, die erste öffentliche Kunstsammlung der Welt zu sein, 1661 entstanden, nachdem die Ratsherren das private Kunstkabinett der Humanistenfamilie Amerbach erworben hatten. Womit die heute – auch dank zahlreicher Schenkungen und Leihgaben – so hochkarätige Sammlung so etwas wie der Nukleus der Verbundenheit der Basler mit der Kultur sein dürfte. Dreihundert Jahre später schreibt diese noch einmal Geschichte. 1967 entschied die Bevölkerung per Referendum: „All you need is Pablo“ und beschloss, sechs Millionen Franken an Steuergeldern auszugeben, um zwei Picasso-Gemälde im Kunstmuseum zu halten. Wo sonst wäre so etwas möglich?

„Me git, aber me sait nyt“

Von rechts bis links, von reich bis arm – dass Kultur wichtig sei, bestreite in Basel niemand, auch das hatte Sam Keller gesagt. Die Hälfte der Baukosten des wuchtigen, vor zwei Jahren eröffneten Erweiterungsbaus des Kunstmuseums, also 50 Millionen Franken, übernahm Maja Oeri und ihre Laurenz-Stiftung. Die Roche-Erbin gehört zu dem, was die Basler den „Daig“ nennen: jene Gruppe schwerreicher Menschen, die viel von ihrem vielen Geld unter anderem der Kultur zukommen lassen, dafür aber nicht gelobt werden wollen. „Me git, aber me sait nyt“ – man gibt, aber man spricht nicht darüber. Mit 46 Stiftungen pro 10 000 Einwohnern ist Basel die Stadt mit der höchsten Stiftungsdichte der Schweiz.

Ganz ohne Tram, weil nur einen Katzensprung vom Kunstmuseum entfernt, erreichen wir Ingrid Trobitz, Kommunikationschefin des Theaters Basels. Der gläserne Schauspielhaus-Neubau in der Steintorstraße wurde nur möglich durch die Finanzspritze von acht anonymen Mäzeninnen, die sich „Ladies first“ nannten, erzählt sie. Trobitz war, bevor sie nach Basel ging, Pressesprecherin des Stuttgarter Schauspiels. Beide Städte seien sich mit ihrem Bürgertum, ihrem Wohlstand und auch in der Mentalität durchaus ähnlich, doch in Basel reichten die Kulturwurzeln „historisch tiefer“. Die erste Universität der Schweiz, Erasmus von Rotterdam, Holbein der Jüngere. Nietzsche ...

125 Millionen Franken für Kultur

Schließlich sitzen wir im Büro von Sonja Kuhn, einer der beiden Co-Leiterinnen der Kultur-Abteilung der Stadt. Auch sie kennt die Kulturhistorie bestens, schlägt aber den Bogen in die Zukunft: Kulturvermittlung breit in die Gesellschaft hinein, das sei eines ihrer zentralen Anliegen, sagt sie, dann überreicht sie uns ein Heft: Basler Kultur in Zahlen. Eine sticht heraus: 125 Millionen Franken für Kultur im Jahr 2016. Stuttgart kann ungefähr 145 Millionen Euro bieten – hat aber dreimal so viel Einwohner. Jetzt könnten wir doch endlich mal auf den Rhein schauen – das, was der Basler, neben Kultur zu erleben, am liebsten macht. Darin schwimmen, wie der ältere Herr, der sich beim Museum Tinguely in die winterkalten Fluten stürzte? Wir haben eine bessere Idee: raus zur Fondation und einen Blick in den benachbarten Iselin-Weber-Park werfen, wo sich der einzigartige Kunst-Natur-Architektur-Cluster mit drei Erweiterungsbauten von Peter Zumthor für die Zukunft rüsten will. Schweizer Pünktlichkeit: An der Schifflände steht eine grüne Sechser-Tram.