Die Sindelfinger Interessengemeinschaft Kultur will ihr Angebot aufstocken. Dazu fehlen dem Verein allerdings nicht nur die geeigneten Räume.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Sindelfingen - Antonio Braas ist ein Mann von Selbstironie. „Ich bin im Verein der Quotenausländer“, sagt er. Tatsächlich ist er der Vorsitzende der Sindelfinger IG Kultur. Dass Einwanderer die Veranstaltungen des Vereins selten besuchen, ist schon ein Kuriosum. „Wenn nicht in Sindelfingen, wo dann?“, fragt Joachim Groß, der im Vorstand der Kulturgemeinschaft sitzt. Schließlich ist mehr als jeder zweite Sindelfinger im Ausland geboren oder Nachkomme von Einwanderern.

 

Dass mehr als die Hälfte des potenziellen Publikums kein Interesse an Karten hat, ließe sich als Problem begreifen. Braas sieht es anders, gleichsam als Zukunftsmarkt. Die IG Kultur will wachsen, in jeder Hinsicht. Sie will mehr und jüngeres Publikum locken. Ihr typischer Besucher hat den 50. Geburtstag hinter sich. Sie will Bands engagieren, die über Deutschland hinaus einen Namen haben, jedenfalls bei Kundigen. Braas denkt insbesondere an Musiker der Independent-Szene. Sie will mehr und andere Veranstaltungen bieten als bisher. Der Zusatzaufwand soll gemeinschaftlich mit anderen Vereinen bewältigt werden. Ein Versuch hat begonnen. Zur Mitorganisation des Festivals der Kulturen im September sind 54 Migrantenvereine eingeladen. Der 31. Mai ist Termin für ein erstes Treffen. Wer kommt, ist unklar.

Selbst in Berlin scheint es treue Fans der IG Kultur zu geben

Braas legt ein Blatt Papier auf den Tisch, blaue Punkte sind auf einer Landkarte verteilt. Sie verbildlichen Daten des Kartenverkaufs im Internet. Die Grafik zeigt, wo die Besucher leben, und soll verdeutlichen, dass schon heute das Angebot der IG deutlich über Sindelfingen hinaus wahrgenommen wird. Der Landkreis ist ein einziger blauer Fleck. Kleinere Punkte verteilen sich um ihn herum, bis nach Pforzheim, Göppingen oder Horb am Neckar. Selbst in Berlin scheint es treue Fans zu geben.

Tatsächlich sind die Weitgereisten Studenten der Uni Stuttgart, die in und um Sindelfingen eine Bleibe gefunden haben, aber die Grafik soll beweisen: Das Potenzial wäre da – vonseiten des Publikums. Weshalb der Verein seit drei Jahren an seinem Umbau arbeitet. Der birgt allerdings nicht nur ein Problem, sondern viele, denn vonseiten des Vereins fehlt das Potenzial.

Das größte Hindernis ist der Veranstaltungsort, der Kultur-Pavillon an der Calwer Straße. Groß führt durch die Räume und erzählt, dass vor einem Jahr Licht und Musikanlage erneuert wurden. „Das ist jetzt digital und vom Feinsten, habe ich mir erklären lassen“, sagt er. „Ich selbst verstehe davon nichts.“ Er ist Mediziner. Vor die Bühne sind höchstens 150 Stühle zu quetschen. Unbestuhlt ist bei 300 Besuchern Schluss. Bekanntere Bands winken deshalb ab, oder die IG weicht auf die Stadthalle aus. Ohnehin ist der Pavillon nur samstags frei. Mehr als ein Termin pro Woche „wäre im Ehrenamt auch nicht möglich“, sagt Braas. Der Verein müsste einen Mitarbeiter einstellen. Kurz: Zum Wachstum fehlen Platz, Personal und Geld.

Die Suche nach einem neuen Standort ist ein Politikum

All dies ist im Rathaus bekannt, und „wir haben wohlwollende Signale bekommen“, sagt Braas. Zunächst hätte er gern einen neuen Saal für kleinere Konzerte und einen zusätzlichen für bis zu 500 Besucher. „Wo, ist uns eigentlich egal“, sagt er, wohl wissend, dass er damit bereits inmitten eines Dauerzwists steht, dem um das Domo novo. Die Befürworter eines Kulturzentrums im ehemaligen Kaufhaus Domo zoffen sich unverändert mit der Stadt über die zu erwartenden Kosten für Umbau und Betrieb. Die angepeilte Alternative im alten Bau der AOK wäre auch kein Schnäppchen. Er müsste um eine Etage erhöht werden.

Wo auch immer – „wir wollen mit neuen Partnern in einer anderen Liga spielen, und der Bedarf ist da“, sagt Braas, auch, weil in Stuttgart immer mehr Konzert-Orte geschlossen haben. Gewiss ist: Ohne Hilfe der Stadt lässt sich diese Lücke in Sindelfingen nicht schließen. Um im Rathaus zu überzeugen, setzt Braas statt auf Selbstironie auf Selbstbewusstsein: „Die wissen, dass sie mit uns einen Partner haben, der aus Sindelfingen nicht wegzudenken ist.“