Integration gelingt oft, auch wenn man selten darüber spricht. Familie Abed/Mohmmad ist aus Syrien nach Merklingen gekommen. Jetzt stehen sie auf eigenen Beinen.

Weil der Stadt - Es war Ramadan, Fastenzeit, vor vier Jahren. Atia Abed hat gerade noch das Abschlussexamen ihres Lehramtsstudiums machen können, da wird es immer schlimmer mit dem Bombenhagel. Ständig sitzt sie mit ihren beiden Töchtern im Keller. Die große Tochter, damals zwei Jahre alt, kann kaum noch Pipi machen, schaut mit zitternden Augen ihre Eltern an. „Wir hatten immer Angst“, erinnert sich die Mama.

 

Das ist vorbei. Atia Abed sitzt in ihrer gemütlichen Wohnung in Merklingen, erzählt in recht gutem Deutsch. Es ist kurz vor Weihnachten – das Fest der Familie. Christen feiern, dass Maria und Josef einen Sohn bekommen. Der Papa kann sich nur kurz freuen. Steh auf, heißt es im Matthäus-Evangelium, nimm das Kind und seine Mutter und flieh nach Ägypten.

Als der Krieg in Syrien beginnt, haben Atia Abed und ihr Mann Hasan Mohmmad nicht nur ihre große Tochter Abir, sondern auch die Neugeborene Twana. Als die Bomben an jenem Tag im Ramadan immer mehr werden, beschließen sie, zu gehen. „Wir hatten eh immer einen Koffer mit allem Wichtigem“, erzählt Abed. Plötzlich waren sie auch, was sie sich nie vorstellen konnten: Flüchtlinge.

„Wir haben den Frieden gesucht“

In Al-Hasaka ist Atia Abed aufgewachsen, im Norden Syriens, damals mit etwa 175 000 Einwohnern eine größere Stadt. Acht Geschwister hat sie, der Vater arbeitet bei einer Krankenversicherung, baut der Familie ein größeres Haus mit Garten. Sie sind Kurden, leben mit arabischen Syrern und Christen friedlich zusammen. „Es ist immer die Politik, die uns erst die Probleme macht“, ist die bittere Erfahrung der jungen Frau. Am 10. Oktober 2010 heiratet sie Hasan Mohmmad.

Später wollte eine Merklingerin von ihr wissen, ob sie schon mal eine Spülmaschine gesehen habe. „Da musste ich schmunzeln“, sagt Atia Abed. „Wir waren nicht so reich, aber wir hatten alles.“ Ihr Lebensstandard in Syrien war ähnlich wie hier in Deutschland, sie sind nicht aus wirtschaftlichen Gründen geflohen, das ist ihr wichtig zu betonen. „Wir haben den Frieden gesucht, und wir wollen, dass unsere Töchter eine Zukunft haben.“

Zuerst aber müssen sie durch die Hölle der Flucht. Der Abschied von den Eltern und der Heimat – vielleicht für immer? Atia Abed wird ganz leise, als sie das erzählt. Nachvollziehen kann das nur, wer es selbst mitgemacht hat. Ihr und ihren Töchtern gelingt es, einen Flug in den Libanon zu ergattern, von dort reisen sie in die Türkei. Der Vater muss sich über Land durchschlagen. Nach zehn Tagen geht es weiter nach Izmir und von dort mit einem kleinen Boot nach Griechenland. Unterwegs immer wieder die quälende Frage: Sollen wir wirklich weiter? Verkraften es die zwei kleinen Kinder? Die kleine Familie geht immer weiter, abwechselnd mit Zug, Bus und zu Fuß über Serbien und Ungarn schließlich nach Deutschland, das sie nach zwölf Tagen erreichen.

„Wir wollten eine Zukunft für unsere Kinder“, sagt Atia Abed nochmals und ihre Augen leuchten. Das Datum weiß sie noch ganz genau. „Seit 9. November 2015 sind wir in Deutschland.“ Ihr Bruder lebt zu der Zeit schon seit einem Jahr in München, deshalb wollten sie hierher.

Über die Leonberger Sporthalle nach Merklingen

Auch hier ist die Odyssee noch nicht zu Ende. Sie kommen in die Flüchtlingsaufnahmeeinrichtung in Mannheim, dann nach Leonberg in eine Sporthalle, dann nach Weil der Stadt in die städtische Unterkunft in der Hindenburgstraße. Dort lebt die Familie elf Monate. „Das war nicht einfach“, erinnert sich Atia Abed. „Zuhause in Syrien waren wir reich, und hier jetzt ganz unten.“ Sie will aber nicht missverstanden werden, das ist ihr wichtig. „Wir werden den Deutschen bis an unser Lebensende dankbar sein, dass sie uns geholfen haben.“

Neue Menschen, neue Kultur, neue Sprache – eine neue Herausforderung für die kleine Familie. „Ich habe zu meinem Mann gesagt: Wenn wir hier sind, müssen wir deutsch lernen“, erinnert sich Atia Abed. Sie besuchen Deutsch- und Integrationskurse, schauen deutsches Fernsehen und Youtube-Videos. Und haben zum ersten Mal Kontakt mit Schnee. Er ist wegen seiner Kinder hier, deshalb macht er alles für sie, sagt sich Papa Hasan Mohmmad. Und lernt, dass man einen Kinderwagen auch durch Schnee schieben kann.

Mohmmad hatte schon in Syrien eine Ausbildung zum Elektriker gemacht, dennoch wiederholt er die Ausbildung in Deutschland nochmals. Die Mama erfährt erst hier, zwei Jahre nach ihrem Lehrsamtsexamen, dass sie den Abschluss bestanden hat. Sie macht derzeit eine Ausbildung zur Tagesmutter und arbeitet in der Merklinger Tagespflege-Einrichtung „Krümelkiste“. In Merklingen haben sie ihre eigene, gemütliche Wohnung gefunden und bezogen. Die Kinder gehen in die Schule und in den Kindergarten.

Jetzt ist aber erst Weihnachten. Natürlich kennt Atia Abed dieses Fest, im Koran ist Jesus ein wichtiger Prophet, auch Maria ist dort ein Vorbild, weiß sie. Zuhause in Syrien war es nämlich so: „Beim Zuckerfest haben uns unsere christlichen Freunde besucht und wir haben zusammen gefeiert“, erzählt sie. „Und an Weihachten sind wir zu unseren christlichen Freunden gegangen und wir haben zusammen gefeiert.“