Der 94-jährige Hans Lipschis muss sich wegen seiner Zeit als KZ-Aufseher in Auschwitz nicht vor Gericht verantworten. Die Nebenkläger zogen ihre Beschwerde gegen einen Gerichtsbeschluss zurück.

Der 94-jährige Hans Lipschis muss sich wegen seiner Zeit als KZ-Aufseher in Auschwitz nicht vor Gericht verantworten. Die Nebenkläger zogen ihre Beschwerde gegen einen Gerichtsbeschluss zurück.

 

Stuttgart - Der frühere KZ-Wachmann Hans Lipschis wird sich wegen Beihilfe zum Mord nicht vor einem Gericht verantworten müssen. Das Verfahren gegen den 94-Jährigen habe sich erledigt, weil die Nebenkläger ihre Beschwerden gegen den Beschluss des Landgerichts Ellwangen zurückgezogen hätten. Das teilte das Oberlandesgericht Stuttgart am Dienstag auf Anfrage mit. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hatte Lipschis vorgeworfen, zwischen 1941 und 1943 in zwölf Fällen zum heimtückisch und grausam begangenen Mord an 10 510 Menschen Hilfe geleistet zu haben. Der gebürtige Litauer war vom Landgericht jedoch Anfang Dezember nach siebenmonatiger U-Haft wegen Demenz aus der Untersuchungshaft entlassen worden. In Auschwitz wurden mindestens 1,1 Millionen meist jüdische Häftlinge ermordet.

Lipschis hatte nach Überzeugung der Anklagebehörde als Angehöriger des SS-Totenkopf-Sturmbanns Wachbereitschaft in Auschwitz. Somit habe er den Lagerbetrieb und damit die Vernichtungsaktionen unterstützt. In vielen Fällen seien nicht arbeitsfähige Menschen sofort aussortiert und in den Gaskammern getötet worden.

Seit Anfang der 80er lebt Lipschis im Ostalbkreis

Lipschis lebte nach Kriegsende zunächst in Norddeutschland, wanderte 1956 aber nach Chicago (USA) aus. Dort wurde ihm die amerikanische Staatsbürgerschaft aberkannt. Ende 1982 wurde er aus den USA ausgewiesen, lebte seither im Ostalbkreis. Den Fall ausgegraben hatte die zentrale NS-Fahndungsstelle in Ludwigsburg unter Leitung von Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm.

Lipschis verdeutlicht die besondere Problematik, wenn sich Richter mit Vorwürfen gegen Angeschuldigte befassen müssen, die 70 Jahre zurückliegen. Nach dem Beschluss des Landgerichts Ellwangen kann eine Tat nur dann bestraft werden, wenn konkret nachgewiesen werden kann, dass der Angeschuldigte unter anderem Kenntnis von den Vernichtungsvorgängen im Konzentrationslager hatte und diese unterstützte. Dies aber kann im Fall von Lipschis nur in einer umfangreichen Beweisaufnahme - mit offenem Ausgang - erfolgen. Da Lipschis aber nachweislich an Demenz leidet, lehnte das Landgericht ein Verfahren ab und ordnete seine Freilassung an.

Zudem meinten die Ellwanger Richter, dass das öffentliche Interesse nicht alles rechtfertige, auch wenn es sich um Fälle schwerster Kriminalität handle. „Vielmehr muss auch hier in den Schranken der Verfassung letztlich dem Grundsatz des fairen Verfahrens der Vorrang gebühren.“ Deshalb könnten und müssten Verfahren gegen einen Angeschuldigte eingestellt werden, wenn diese zum bloßen Objekt des Verfahrens gemacht würden.