Seit zwei Wochen brennt die Kanareninsel La Gomera. Der Deutsche Ralf Zinke kämpft eine ganze Nacht um sein Dorf – und um die Existenz, die er sich dort aufgebaut hat.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Madrid - Die vergangene Nacht hat Ralf Zinke endlich wieder einmal durchgeschlafen. Zuvor hatten ihn Tage lang dieselben Bilder verfolgt: Das Feuer war bis in sein Zimmer vorgedrungen, und er konnte nichts dagegen tun. Er wachte auf. Es war zum Glück nur ein Traum.

 

Den realen Albtraum erlebte der 50-jährige Zinke, der seit zehn Jahren auf der Kanareninsel La Gomera zuhause ist, vor zwei Wochen. Am 4. August, einem Samstagabend, stiegen ein paar Kilometer westlich seines Dorfes Lo del Gato, im Süden der Insel, Rauchschwaden auf. „Da hab ich mir noch keine Sorgen gemacht. Es war ja weit weg.“ Um halb zehn standen plötzlich Guardia Civil und eine Gruppe von Katastrophenschutzhelfern im Dorf: Alle raus! Sofort! Eine 89-jährige Nachbarin, die nicht mehr gut auf den Beinen ist, wollte nicht. Zinke und ein paar andere Männer trugen die schwergewichtige Frau samt Sessel zu Zinkes Wagen. Er brachte sie zu Verwandten nach San Sebastián de la Gomera, dem Hauptort im Osten der Insel.

Zinke ignoriert Straßensperren und kehrt zurück

Dort traf Zinke eine Entscheidung. „Ich wollte etwas tun. Ich verstand, dass uns die Polizei mit der Evakuierung schützen wollte. Aber dort ist meine Existenz“, erzählt er. Zinke kehrte zurück nach Lo del Gato, ignorierte die Absperrung an der Landstraße und lief das letzte Stück zum Dorf hinab zu Fuß über die terrassenförmig angelegten Felder. Gegen Mitternacht kam er endlich an. Er legte Wasserschläuche bereit. Gegen zwei Uhr sah er die erste Glut am Nachthimmel schimmern. Er machte noch einige Fotos. Eine halbe Stunde später war das Feuer da.

„Erst brannten die Palmen, dann kam ein orkanartiger Wind auf, der sich ständig drehte – ein Feuersog.“ Zinke war weit genug weg vom Flammenmeer, um nicht in Gefahr zu kommen. Sobald das Feuer den Ortsrand erreicht hatte, verlangsamte es seine Geschwindigkeit. Es dauerte die ganze Nacht, bis der Brand alle Straßen des Dorfes durchwandert hatte. Zinke packte sich einen zehn Meter langen Schlauch und lief von Haus zu Haus, wo er den Schlauch an die Außenwasserhähne anschloss und zu retten versuchte, was zu retten war.

„Ich habe mich nicht als Held gefühlt“

Im Hof seines eigenen Hauses brannten die hölzernen Gartenmöbel, die Fliegengittertür fing Feuer. Zinke löschte. „Irgendwann brannte es überall. Es war ein Wettkampf.“ Zwei der rund 25 Häuser im Dorf brannten nieder, ein weiteres zur Hälfte. „Das ist natürlich Spekulation“, sagt Zinke, „aber wenn ich nicht gelöscht hätte, wäre wahrscheinlich mehr verbrannt.“ Angst verspürte er nicht in jener Nacht. „Ich habe mich nicht als Held gefühlt. Ich habe ganz mechanisch gehandelt.“ Der Zusammenbruch kam ein paar Tage später, am Mittwoch danach. Seitdem hat Zinke die meisten Nächte schlecht geschlafen.

An jenem Mittwoch, dem 8. August, glaubten die Behörden, die Feuer auf La Gomera unter Kontrolle zu haben. Sie senkten die Alarmstufe von zwei auf eins. „Das können wir alle nicht verstehen“, sagt die deutsche Rezeptionistin einer Apartmentanlage im Westen der Insel, die sich mit ihrem Vornamen Susanne vorstellt. Am folgenden Wochenende flammten die Feuer wieder auf. Diesmal traf es die Gemeinden Vallehermoso im Norden und Valle Gran Rey im Westen La Gomeras. Dort sorgte trockenes Schilfrohr dafür, dass sich der Brand in Windeseile ein trockenes Flusstal hinabfraß. In der idyllischen Ortschaft El Guro, das die Bewohner der Region alle nur „das Künstlerdörfchen“ nennen, brannten Dutzende Häuser nieder. Viele von ihnen gehörten Deutschen. Von den gut 23 000 Einwohnern La Gomeras stammen fast 2000 aus Deutschland.

Die Flammen wüten immer noch

Die Feuer sind auch nach mehr als zwei Wochen noch nicht vollständig gelöscht. Sie haben bisher rund 4200 Hektar Land verbrannt, davon 800 Hektar im Nationalpark Garajonay im Herzen der Insel. Mindestens 46 Wohnhäuser brannten nieder, 39 weitere wurden beschädigt. Die einzige gute Nachricht ist, dass keine Menschen verletzt wurden. Bei den letzten vergleichbar verheerenden Bränden auf La Gomera 1984 starben 21 Personen.

Auch Ralf Zinke hat die Brandnacht in seinem Dorf heil überstanden. Aber von seinen dreihundert Obstbäumen, die einen wichtigen Teil zu seinem Lebensunterhalt beitragen, sind etwa 80 Prozent vom Feuer erfasst worden. Von den Inselbehörden fühlt er sich im Stich gelassen, aber Freunde aus Berlin haben ihm Geld gespendet, damit er neue Wasserrohre zu den Obstwiesen verlegen kann. „Wenn man rausgeht, watet man teilweise in Asche“, erzählt er. Aber er ist nicht hoffnungslos. Einer seiner Birnbäume, den die Flammen übel zugerichtet haben, treibt nach zwei Wochen schon wieder neue Blätter.