Kurz vor der dritten tariflichen Verhandlungsrunde haben Erzieherinnen und Sozialarbeiter bei einer landesweiten Kundgebung noch einmal ihre Streitkraft präsentiert. In Stuttgart blieben derweil mehr als die Hälfte der Kitas geschlossen.

Erzieherinnen und Erzieher, sowie Mitarbeiter aus dem Sozial- und Pflegedienst sind am Donnerstag in Stuttgart zu einer landesweiten Demonstration und Kundgebung zusammengekommen. Nach Angaben der Gewerkschaft Verdi haben sich daran rund 6000 beteiligt, „deutlich mehr als erwartet“, so Stuttgarts Bezirksleiter Cuno Brune-Hägele.

 

Das war gut für die Protestkundgebung, weniger gut für die Organisatoren. „Wir haben ein fettes Problem: der Platz reicht nicht!“, rief der Versammlungsleiter den Demonstranten am Schlossplatz zu und bat sie, auf den Rasen auszuweichen und darum, die Blumenrabatten zu schonen.

Der Zuspruch der Beschäftigten zu den Forderungen der Gewerkschaft hätte deutlicher nicht ausfallen können. Zwar haben sich diesmal weniger Mitglieder aus den städtischen Einrichtungen am Streik beteiligt– nur etwa die Hälfte der Kitas blieb ganztags geschlossen, 64 Kitas und acht von neun Schülerhäusern waren teilgeöffnet –, doch der Zulauf aus Mannheim, Stuttgart, Reutlingen, Tübingen, Karlsruhe und Heilbronn machte das wett und die Entschlossenheit der Beschäftigten in dieser Branche deutlich. Wenn in der dritten und vorerst letzten Tarifverhandlungsrunde am Montag und Dienstag in Potsdam kein Ergebnis erzielt wird, könnten sie sich für unbefristete Streiks aussprechen.

Sprechchöre und Trillerpfeifen

Mit Sprechchören und mit Trillerpfeifen hat der Tross sich am Stadtgarten in Bewegung gesetzt, von der Polizei über die Theodor-Heuss-Straße und die Eberhardstraße geleitet. „Mehr von uns ist besser für alle“, „Wir hüten keine Rinder, sondern eure Kinder“ und „Ohne Sozis wär hier gar nix los“ skandierten die Demonstranten, von Passanten zum Großteil wohlwollend betrachtet. Eine Erzieherin aus Böblingen marschiert mit. Sie sagt: „Ich bin jetzt 60, war jahrelang im Erziehungsdienst, arbeite jetzt in Sprachkitas und eng mit Leiterinnen, Kindern, Eltern zusammen. Ich bin hier, weil ich weiß, wie die Kolleginnen leiden an immer mehr Aufgaben, weniger Personal und sich nicht so intensiv um die Kinder kümmern können, wie sie es für richtig halten“, sagt sie. Immer größer werde die Zahl der herausfordernden Kinder, weshalb die Gruppen eher kleiner werden müssten statt größer. Der Arbeitsbereich von Erzieherinnen sollte weniger starr definiert sein, sondern „zum Beispiel auch mal Arbeit mit Grundschülern ermöglichen“. Es gibt sie noch, die Jüngeren, die diesen Beruf gewählt haben. „Ich liebe es, mit Kindern zu arbeiten. Ich würde nie den ganzen Tag vor einem PC sitzen wollen“, sagt Malin Kürner (25), die mit ihren Kolleginnen Alexandra Kurz (23) und Lisa Keinert (31) aus Weinstadt zur Demo gekommen ist. „Wir arbeiten für unsere Zukunft.“

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Auf dem Schlossplatz zeigen sich auch Beschäftigte der Württembergischen Diakonie und der Stuttgarter Jugendhausgesellschaft kämpferisch: „Die Lohnerhöhung vom April in Höhe von 1,8 Prozent deckt nicht mal die Hälfte der Inflationsrate ab“, sagt ein Redner, „und doch müssen wir uns von den Kommunen sagen lassen, sie würden keine zusätzliche Belastung verkraften.“ Hanna Binder von Verdi bezeichnet das Verhalten der Arbeitgebervertreter als „respektlos“ und vermutet, „erst, wenn der Personalmangel Konsequenzen hat, wird es einen Aufbruch geben.“

Am kommenden Mittwoch soll entschieden werden, wie es in der Tarifauseinandersetzung weiter geht, sollte es in Potsdam keine Einigung geben.

Wer für wen streikt

Berufsgruppen
Direkt von den Verhandlungen betroffen sind in Baden-Württemberg die kommunal Beschäftigten pädagogischen Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen, in der Schulkindbetreuung, in der Sozialarbeit und der Behindertenhilfe.

Anzahl
Alleine in der frühkindlichen Bildung sind damit rund 45 000 Beschäftigte in Baden-Württemberg direkt in kommunalen Einrichtungen betroffen, knapp 60.000 Beschäftigte sind bei Kitas von freien Trägern direkt oder indirekt berührt. Zusammen betreuen sie 473 000 Kinder. Darüber hinaus sind direkt oder indirekt im Land weitere 32 000 Beschäftigte in sozialen Diensten und Einrichtungen von den Verhandlungen betroffen.