Der erste Prozess um Schadensersatz nach dem Amoklauf von Winnenden und Wendlingen hat gestern begonnen. Der Vater des Amokläufers und seine Versicherung ziehen eine rasche, günstige Lösung ohne Gericht vor.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

Stuttgart - Der erste Prozess um Schadensersatz nach dem Amoklauf von Winnenden und Wendlingen hat begonnen: Eine 44-Jährige klagt vor dem Stuttgarter Landgericht gegen den Vater des Täters. Sie hat am 9. März 2009 ihren Mann verloren, der als Kunde jenes Autohaus in Wendlingen besucht hatte, an dem das Massaker von Tim K. damals endete. Zur Verhandlung waren weder die Klägerin noch der Beklagte persönlich erschienen, da beide den Presserummel fürchteten. Tatsächlich hielt sich das Medieninteresse aber in Grenzen.

 

Die Anwälte der Frau fordern neben Schmerzensgeld die Kostenerstattung für die Beerdigung und für Unterhalt. Der Mann war der alleinige Ernährer seiner Frau und seiner beiden minderjährigen Kinder gewesen. Die Forderungen der Frau summieren sich auf etwa 80 000 Euro. Jörg K. hafte dafür, weil er sich der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht und gegen das Waffenrecht verstoßen habe. Das strafrechtliche Urteil sei rechtskräftig.

Kritik an der Stadt Winnenden

Die Anwälte von Jörg K. sowie der Anwalt der Allianz-Versicherung machten keinen Hehl daraus, dass sie an einer gerichtlichen Klärung der Ansprüche kein Interesse haben. „Wir hatten ein Ruhen des Verfahrens angemahnt“, sagt Allianz-Anwalt Wolfram Ellwanger. Gegen eine gerichtliche Entscheidung in diesem Fall würden sie in Berufung gehen, weil sie nach einer Lösung für alle Geschädigten suchten, so Erik Silcher, einer der Anwälte von Jörg K. Man verhandele derzeit mit den Geschädigten. „Es hat auch schon eine Annäherung stattgefunden. Wir könnten in zwei bis drei Monaten eine abschließende Regelung finden, wenn die Stadt sich bewegen würde“, sagte Silcher. Jörg K.s Anwalt und die Allianz schieben der Stadt Winnenden den Schwarzen Peter zu: Sie blockiere mit ihren Forderungen, die sich bei 9,5 Millionen Euro bewegen, die Verhandlungen und verzögere dadurch die Entschädigung der Hinterbliebenen und Opfer.

Winnendens Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth weist diese Vorwürfe zurück. Man wolle „den Opferangehörigen und den Verletzten nicht in die Quere kommen“. Es sei „die Allianz als Haftpflichtversicherer des Vaters des Amokläufers, die eiskalt die Ansprüche gegeneinander stellt“. Die Versicherung habe für Personen- und für Sachschäden jeweils getrennte Deckungssummen, erläutert Holzwarth. Während die Stadt den Umbau und die Sanierung der betroffenen Albertville-Realschule als Sachschaden betrachte, wolle die Allianz diesen Posten zu den Personenschäden rechnen. Das aber würde bedeuten, dass die rund 50 Geschädigten die Deckungssumme von zwei Millionen Euro nicht nur untereinender, sondern auch noch mit der Stadt Winnenden teilen müssten. Die eine Million Euro Deckungssumme der Allianz für Sachschäden würde gar nicht abgerufen. „Die Allianz will ihre Million retten, darum geht es“, sagt Rechtsanwalt Jens Rabe von der Waiblinger Kanzlei Künzel und Partner, die außer der Stadt Winnenden 30 Opfer und Hinterbliebene des Amoklaufs bei den Schadenersatzverhandlungen vertritt.

Entscheidung am 25. September

Wolfram Ellwanger von der Allianz will zu den laufenden Verhandlungen keine Auskunft geben. Wie die Versicherung darauf kommt, den Umbau und die Sanierung einer Schule als „Personenschaden“ zu deklarieren, skizziert Anwalt Rabe folgendermaßen: Das Gebäude selbst sei bei dem Massaker nur marginal beschädigt worden. Es seien die Menschen, die Lehrer und Schüler, die ein Problem damit hätten, dort wieder einzuziehen. Ihretwegen sei der Umbau erfolgt.

Die zwei Millionen Euro Deckungssumme würde „im Wesentlichen ausreichen“, um alle Geschädigten auszubezahlen, sagt Rabe. Die einzelnen Beträge lägen zwischen 20 000 und 40 000 Euro. Hinzu kämen bei einigen ein Verdienst- oder Unterhaltsausfall – wie im verhandelten Fall der Frau aus Wendlingen. In diesem Verfahren will das Gericht am 25. September zu einer Entscheidung kommen.