Afrikanische Länder vergeben riesige Ackerflächen an internationale Konzerne. Die einen feiern das als Anfang vom Ende des Hungers. Doch Kritiker warnen vor einer Entmündigung und Entrechtung der örtlichen Bauern.

Für die einen ist es eine überzeugende Antwort auf die Ernährungskrise der Welt und ein hervorragendes Beispiel dafür, wie sich die Staaten der südlichen Globushälfte gegenseitig helfen können. Für die anderen ist es eine neue, verheerende Form des Kolonialismus – ein Rezept für die endgültige Entmachtung afrikanischer Kleinbauern, der bisherigen Ernährer des Kontinents.

 

Wenn sich am Wochenende 54 Präsidenten zum Gipfel der Afrikanischen Union (AU) in der äquatorialguineischen Hauptstadt Malabo treffen, um über ihr diesjähriges Leitthema „Landwirtschaft und Ernährungssicherheit“ zu beraten, wird ihnen der äthiopische Regierungschef Hailemariam Desalegn das Modell des ostafrikanischen Staates zur Landverpachtung als leuchtendes Exempel präsentieren: Und alles spricht dafür, dass seine Kollegen ihm anhaltenden Beifall spenden werden.

Indische Konzerne kauften 600 000 Hektar

Ob zu Recht, ist eine andere Frage. Äthiopien verpachtete in den vergangenen sechs Jahren landwirtschaftliche Nutzfläche von der Größe Frankreichs an ausländische Investoren. Allein 600 000 Hektar gingen an zehn indische Konzerne, die die Ländereien 99 Jahre lang bestellen dürfen – für einen Dollar pro Jahr und Hektar. Im Gegenzug versprechen die indischen Unternehmen, insgesamt fünf Milliarden Dollar zu investieren, die Äthiopier zu beschäftigen und ihnen als Geburtsnation der „Grünen Revolution“ das nötige Knowhow zu übertragen.

Dass der Deal den Hungersnotstaat von Grund auf verändern könnte, davon ist die Regierung in Addis Abeba überzeugt. Schließlich seien 45 Prozent der Fläche des Landes agrarisch nutzbar – doch nur 15 Prozent würden tatsächlich bestellt.

In Äthiopiens Gambella-Region an der Grenze zum Sudan sieht man das allerdings anders. Dort leben die Mursi, ein Volk, das sich vor allem von der Rinderzucht ernährt. Doch um Platz für die geplanten Zuckerrohrplantagen und den von China gebauten riesigen Staudamm Gibe III zu schaffen, werden die Mursi umgesiedelt, in neu gebaute Reißbrettdörfer gesteckt und zum Ackerbau gezwungen. Ihre Traditionen – wozu neben der Viehzucht Stockkämpfe und riesige Unterlippenvergrößerungen zählen – gehörten ohnehin der Vergangenheit an, meint die Regierung in Addis Abeba. Mursi, die sich gegen die Umsiedlung auflehnten, würden schikaniert, eingesperrt und gelegentlich sogar getötet, berichten Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und das kalifornische Oakland-Institut – ein typisches Beispiel für den Umgang Addis Abebas mit Kritikern des diktatorischen Entwicklungskurses. Derartige Organisationen versuchten Äthiopien „in die Steinzeit“ zurückzuzerren, hält Regierungssprecher Getachew Reda dagegen. Entwicklung fordere nun mal ihren Preis.

Die Investitionen sind hoch – doch helfen sie auch?

Tatsächlich wäre es fatal, das Recht der Mursi auf Viehzucht und Unterlippenteller hochzuhalten, wenn Äthiopien anders von Hungersnöten bewahrt bliebe, die in den vergangenen Jahrzehnten Millionen von Menschenleben kosteten. Die Frage ist allerdings, ob die in den Zuckerrohrfarmen der Gambella-Region erwirtschafteten Erträge tatsächlich der lokalen Bevölkerung zugutekommen, also zur Ernährungssicherheit beitragen werden.

Nach Recherchen der Internationalen Landkoalition, eines Zusammenschlusses von rund 100 Nichtregierungsorganisationen und Institutionen wie der Weltbank, wird rund die Hälfte der in den vergangenen Jahren von Konzernen weltweit gepachteten Anbauflächen von mehr als 200 Millionen Hektar für die Produktion von Biodiesel verwendet. Ein Großteil der auf den restlichen Gütern angebauten Nahrungsmittel geht in die Herkunftsländer der Konzerne, die wie Südkorea, Indien oder Saudi-Arabien auf importierte Lebensmittel angewiesen sind. Und ein verhältnismäßig kleiner Teil wird nicht einmal bebaut, sondern für Zwecke der Landspekulation verwendet. Der mit weitem Abstand geringste Teil der Erzeugnisse bleibt im Ursprungsland: Hungersnöte sind auf diese Weise also kaum zu vermeiden. „Der Run auf Afrikas Agrarflächen hat nichts mit Hungerbekämpfung zu tun“, sagt Michael Taylor von der Landkoalition. Seiner Ansicht nach „geht es vielmehr um die Deckung der Energie- und Konsumbedürfnisse in den Industrienationen“.

Kritiker fordern, stärker die Kleinbauern zu unterstützen

Zu ihrer Verteidigung bringt die Regierung in Addis Abeba die Schaffung von Arbeitsplätzen ins Spiel – allein in Gambella sollen das rund 700 000 sein. Außer durch Gehälter würden die Kleinbauern auch vom neuen Knowhow profitieren. Ausgeschlossen sei ferner nicht, dass sich später neue Betriebe der verarbeitenden Industrie ansiedelten. Doch solange die Ländereien ausländischem Management und fremder Bedarfsplanung untergeordnet seien und die einheimischen Kleinbauern ihre – wenn auch wenig effiziente – Selbstständigkeit gegen eine untergeordnete und schlecht bezahlte Einstellung als Farmarbeiter eintauschen müssten, ergäben die Pachtverträge für die Bevölkerung vor Ort wenig Sinn, wenden die Kritiker ein: Es handele sich, wie zu Kolonialzeiten, um „Landraub“.

Die politischen Eliten Afrikas interssiert die Not wenig

Falls der Run auf die afrikanische Scholle tatsächlich Entwicklungsfortschritte und Nahrungsmittelsicherheit mit sich bringen solle, sei ein „Wechsel in der Perspektive“ erforderlich, urteilt Lorenzo Cotula, Autor des bahnbrechenden Buches „The Great African Land Grab“. Priorität müsse „die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung und nicht die bloße Anziehung von Investitionen haben“. Dafür sei jedoch erforderlich, dass die jeweiligen Regierungen mit den internationalen Konzernen Pachtverträge ausarbeiteten, die auch den Menschen vor Ort zugutekämen, denn unter bestimmten Bedingungen könne das ausländische Kapital und Management der Güter sehr wohl von Vorteil sein.

Allerdings ist zu befürchten, dass es den politischen Eliten in Afrikas Hauptstädten darauf gar nicht ankommt: Sie stecken meist mit den ausländischen Investoren unter einer Decke, aus deren Betriebsamkeit sie ihren Honig saugen.