Eine Debatte zur Leitkultur grenzt aus, findet die baden-württembergische Landtagspräsidentin Muhterem Aras. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält die Debatte über Leitkultur für „vergiftet“. Indes kritisiert Aras, in der Integration seien aus Bequemlichkeit Fehler gemacht worden.

Stuttgart - In der Debatte um die Leitkultur schlägt Baden-Württembergs türkisch-stämmige Landtagspräsidentin andere Töne an. Die von Bundesinnenminister Thomas de Maizière angestoßene Diskussion nannte die Grünenpolitikerin Muhterem Aras im SWR „völlig überflüssig und nicht zielführend“. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte vor Journalisten, „eine Debatte zur Leitkultur ist vergiftet. Sie behindert eher als dass sie fördert“. Durch vorausgegangene Diskussionen sei der Begriff verbrannt.

 

Kretschmann zeigte sich verwundert darüber, dass „ein besonnener Minister wie de Maizière“ so eine Debatte anstoße. „Darüber können wir uns nicht einigen, weder ob der Begriff sinnvoll ist, noch was alles dazugehört“, konstatierte der Regierungschef.

Inhaltlich könnte sich Kretschmann den von de Maizière aufgeführten Punkten anschließen. „Es ist alles in Ordnung, was er schreibt, aber es steht unter dem falschen Oberbegriff“. In der gegenwärtigen Situation sei der Beitrag „nicht klug“. Der CDU-Bundesinnenminister hatte dazu aufgerufen, sich selbstbewusst zu einer deutschen Leitkultur zu bekennen. Das lasse sich aber nicht vorschreiben, wandte Kretschmann ein. Außerdem sei das Grundgesetz der Grundkonsens. „Wenn sich daran alle halten würden, wären wir in einer höchst komfortablen Lage. Wir wären ein vollkommen friedliches Gemeinwesen“, sagte der Ministerpräsident.

Auch Landtagspräsidentin Muhterem Aras betonte gegenüber dieser Zeitung: „Wir haben im Grundgesetz glasklare Regeln festgelegt. Es gibt Werte, auf die wir uns gemeinsam verständigt haben. Die gelten für alle.“ Sie nannte die Grundgesetzartikel zur Menschenwürde, zu Religions- und Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung, Pressefreiheit und als für sie besonders wichtigen Punkt den Grundsatz, dass Deutschland ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat sei.

„Menschenwürde muss man sich nicht verdienen“

Das Grundgesetz sei „von Anfang an auf Vielfalt ausgelegt“, sagte Aras und unterstrich, „Menschenwürde gilt für alle, man muss sich das nicht verdienen“.

Allerdings gebe es Gruppen, die sich nicht mehr zugehörig fühlten, die müssten durch eine Wertedebatte angesprochen werden. Eine solche Diskussion hat Aras selbst bereits angestoßen. Die Debatte zur Leitkultur bezeichnete Aras als ausgrenzend. „Mir geht es um Zusammenhalt und den sozialen Staat“. Eine Wertedebatte dürfe auch nicht auf Integration reduziert werden.

Aras fordert zu mehr Ehrlichkeit auf. Die Integration, meint sie, laufe „im Großen und Ganzen nicht schlecht“. Doch gebe es Versäumnisse. „Da müssen wir uns ehrlich machen und offen reden.“ Menschen, die in der dritten und vierten Generation in Deutschland lebten und sich zugehörig fühlten, „laufen in der Regel nicht einem autoritären Politiker hinterher“, sagte Aras.

Kritik am Islamunterricht

Als wesentliche Fehler führte sie den islamischen Religionsunterricht und den muttersprachlichen Unterricht an Schulen an. Die Imame, die islamischen Religionsunterricht erteilten, seien Beamte des türkischen Staates und entsprechend linientreu. Muttersprachlicher Unterricht sei den Konsulaten überlassen worden. „Der muttersprachliche Unterricht aus der Türkei ist mindestens tendenziös“, meint Aras. Sie fordert, „Schluss mit dem Import von Imamen“ und Türkischunterricht an Schulen – überhaupt Sprachunterricht in der Sprache der klassischen Einwanderergruppen. Das wäre Ausdruck der Wertschätzung und der Anerkennung für die jeweilige Bevölkerungsgruppe, so Aras.

„Wir haben das bisher nicht angepackt aus Bequemlichkeit und aus finanziellen Gründen“, kritisiert die Landtagspräsidentin. Aspekte wie diese kämen in einer Debatte zur Leitkultur zu kurz. Auch fordert sie den Bund auf, „endlich ein Einwanderungsgesetz anzupacken“.