Grüne und AfD triumphieren, bei CDU und SPD herrscht Katzenjammer: Nach der Wahl hat sich die Tektonik der Politik verschoben, analysiert StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - Abgerechnet wird am Wahltag. Auch wenn die Ergebnisse des Sonntags nach den Prognosen der vergangenen Wochen nicht mehr vollends überraschen, so gilt doch: selbst wenn Seismologen ein Erdbeben ankündigen, sind es doch erst die Erdstöße selbst, die Fundamente ins Wanken bringen. Und mit dem Sieg von Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg, der gleichzeitigen Abwahl von Grün-Rot, dem gescheiterten Machtwechsel in Rheinland-Pfalz und dem machtvollen Einzug der AfD in drei Parlamente ist vieles in Deutschland und im Südwesten in Bewegung geraten; neue, nicht gekannte Koalitionen müssen geschmiedet werden.

 

Beginnen wir beim historischen Erfolg, den Winfried Kretschmann eingefahren hat. Natürlich ist es ein großer Sieg für die   Grünen, aber vor allem ist die  Persönlichkeit Kretschmanns gewählt worden. Seine Zustimmungswerte waren schon vor der Wahl außergewöhnlich, und sein Verhalten im Wahlkampf hat diesen Mythos genährt. Dabei war seine Wahlkampfstrategie – die bedingungslose Unterstützung der Bundeskanzlerin in der Flüchtlingsfrage – in den eigenen Reihen umstritten.

Ein klarer Sieger, ein klarer Verlierer

Ein klarer Sieger, ein klarer Verlierer: Guido Wolf hat noch schlechter abgeschnitten, als es Pessimisten in der Partei für möglich gehalten haben. Klar, der Wahlkampf war für ihn wohl noch schwieriger als seinerzeit für Stefan Mappus. Und doch: der Spitzenkandidat hat in den vergangenen Monaten nicht überzeugt, insbesondere durch sein Lavieren in der Flüchtlingsfrage. Auch in den letzten Tagen des Wahlkampfs, als er eine Koalition mit den Grünen nur in der Führungsrolle für denkbar hielt, machte er keine gute Figur. Nach einer Ansage durch Landeschef Thomas Strobl änderte er auch hier seine Haltung. Es bedarf keiner prophetischen Gaben, um für die nächsten Wochen einen Kampf um die Führung der CDU vorauszusagen. Gleiches gilt übrigens auch für die SPD, die ein ebenso desaströses Ergebnis eingefahren hat wie die Union.

Für die CDU ist der Wahlausgang eine Katastrophe

Auch auf Bundesebene ist der Wahlausgang für die CDU eine Katastrophe. Statt mit Guido Wolf und Julia Klöckner in Rheinland-Pfalz zwei zusätzliche Ministerpräsidenten zu stellen – wie es noch vor wenigen Wochen wahrscheinlich war –, wird nun in Mainz weiter Malu Dreyer von der SPD regieren. Und in Baden-Württemberg liegt das Gesetz des Handelns nun bei Kretschmann und nicht bei Wolf. Vor diesem Hintergrund wird nun der Kampf um die Deutungshoheit beginnen: Hat die CDU so schlecht abgeschnitten, weil Merkels Flüchtlingskurs keine Mehrheit in der Bevölkerung hat? Oder sind die Kandidaten mit so enttäuschenden Ergebnissen ins Ziel gekommen, weil sie sich – anders als etwa Kretschmann – von der Kanzlerin abgesetzt haben? Die Antwort auf diese Frage wird die Flüchtlingspolitik der nächsten Zeit determinieren.

Dass es die Flüchtlingsfrage war und weniger landespolitische Themen, die über die Wahl entschieden haben und die sich in einer seit Jahren ungekannten Wahlbeteiligung niederschlug, zeigt die Wucht, mit der die AfD in alle drei Landtage eingezogen ist. So stark hat noch keine neue Partei die politische Bühne betreten. Wer ins restliche Europa blickt, der ahnt, dass die AfD nicht einfach wieder verschwindet.

Trotz der Versuche der Union, mit der sogenannten Deutschland-Koalition einen aktiven Part in der Regierungsbildung zu übernehmen, spricht viel dafür, dass Kretschmann auch der nächste Ministerpräsident ist. Denn dass sich die SPD auf eine Koalition mit CDU und FDP einlässt, ist noch unwahrscheinlicher als eine Beteiligung der Liberalen an einer Ampelkoalition. Bleibt als wahrscheinlichstes von mehreren unwahrscheinlichen Szenarien ein grün-schwarzes Bündnis. Auf dem Fahrersitz säße Winfried Kretschmann. Wie der Beifahrer heißt, ist offen.