Die CDU-Kandidatin Sabine Kurtz verliert fast zwölf Prozent im Vergleich zur Abstimmung 2011. Miguel Klauß holt für die AfD aus dem Stand 14,9 Prozent, Hans Dieter Scheerer 9,5 für die FDP. Groß ist die Enttäuschung bei der SPD und der Linken.

Leonberg - „Ich bin einfach überwältigt!“ Die Freude ist Bernd Murschel auch durchs Telefon deutlich anzumerken. Hat der 59-Jährige doch mit einem „erdrutschartigen“ Erfolg, wie er sagt, das Direktmandat im Wahlkreis 6 Leonberg geholt. Den Sieg feiert der Leonberger allerdings nicht in seiner Heimatstadt sondern in Herrenberg, am anderen Ende des „Bananen-Wahlkreises“. In seiner jetzigen Form existiert dieser erst seit 2011. Bis zur Wahl 2006 hatte hier traditionell eher die SPD die Nase vorn, nach dem neuen Zuschnitt die CDU. Und nun sind die Grünen dran. Ein grüner Wahlkreis zeige, dass sich in der Gesellschaft etwas bewegt hat, meint Murschel. Hatte seine Partei bei der Wahl 2011 besonders von dem Meinungsumschwung nach der Tsunami- und Atomkatastrophe in Fukushima 2011 profitiert.

 

„Das Ergebnis ist ein Zeugnis für unsere gute Arbeit im Land“, bekräftigt Bernd Murschel, der mit dem direkten Einzug nicht gerechnet, wohl aber darauf gehofft hatte. „Nachdem die jüngsten Umfragen so gute Zahlen für die Grünen ergeben haben, lag das im Bereich des Möglichen“, sagt Murschel. Zu einem Ende der grün-roten Koalition will er sich am Abend noch nicht äußern, das Endergebnis ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht da. Die CDU hat als einzige Partei nach Leonberg zur Wahlparty eingeladen, ins Stadthallen-Restaurant.

Doch als um Punkt 18 Uhr die erste Hochrechnung über den Bildschirm flimmert, ist die Enttäuschung sichtbar und hörbar. Das die Grünen stärkste Kraft im künftigen Plenum werden, wird ungläubig zur Kenntnis genommen, das schlechte Abschneiden der SPD freut die Parteifreunde. Für das Ergebnis der AfD hingegen gibt es nur Kopfschütteln.

Enttäuschung bei der CDU

Was die CDU-Kandidatin Sabine Kurtz bis dahin nur befürchtet hatte, tritt ein: Sie verliert ihr Direktmandat, sie musste damit rechnen, nach zwei Amtsperioden aus dem zu fliegen. Erst gegen 23 Uhr stand fest, dass sie über ein Zweitmandat ins Parlament zurückkehrt.

Auch wenn sie sich die Enttäuschung nicht anmerken lassen will, sie ist dennoch sichtbar. Als schließlich das Endergebnis für den Wahlkreis Leonberg feststeht, gibt es auch nichts mehr schön zu reden. „Das ist keine Frage von Emotionen. Ein Mandat ist ein Auftrag auf Zeit“, erklärt die 54-Jährige. „Ich sehe das professionell. Wer sich zur Wahl aufstellen lässt, weiß, was auf ihn zukommt. So funktioniert eben unsere Demokratie“, sagt sie. Sie sei dennoch zufrieden damit, wie der Wahlkampf gelaufen ist.

Sichtlich geknickt ist auch SPD-Kandidatin Angelika Klingel. Für die Sozialdemokraten hat sie 11,3 Prozent eingefahren. Das liegt unter dem Landesschnitt und auch zehn Prozentpunkte unter dem Ergebnis der Wahl 2011. Damals war Tobias Brenner für die SPD ins Rennen gegangen, ein profilierter Kreispolitiker. Die 55-Jährige aus Heimsheim hatte da einen ungleich schwereren Stand. Als Geschäftsführerin der Evangelischen Müttergenesung war sie nur Wenigen bekannt. „Unsere sehr gute Regierungsarbeit haben wir nicht bezahlt bekommen“, resümiert Angelika Klingel. Die SPD habe alles umgesetzt, was im Koalitionsvertrag vereinbart worden sei. „Ich verstehe nicht, dass wir jetzt abgestraft werden“, sagt die Heimsheimerin. Ihre einzige Erklärung: die alles überstrahlende Figur Winfried Kretschmann.

Doch auch in ihrem Wahlkreis hatte sie sich mehr ausgerechnet. „Die Resonanz im Wahlkampf war viel größer und positiver“, sagt Angelika Klingel. Mit dem Ergebnis ist auch nicht auf eines der Ausgleichsmandate zu hoffen. War es das dann auch mit der Politik? „Ich bin immer ein politischer Mensch gewesen und werde das auch bleiben“, sagt sie ausweichend.

Die FDP in Hochstimmung

Der zweite Gewinner des Abends ist Hans Dieter Scheerer, dessen Ergebnis von 9,5 Prozent über dem Landesschnitt der FDP liegt. „Mein Wunschergebnis wären zwar über 10 000 Stimmen gewesen. Doch mit knapp über 9000 Stimmen kann ich auch sehr zufrieden sein“, sagt der Rechtsanwalt aus Weil der Stadt. Den Erfolg der Liberalen führt er auf deren Auftreten zurück. „Das haben wir gelernt, nachdem wir 2013 aus dem Bundestag gewählt wurden. Die Geschlossenheit ist von den Wählern honoriert worden“, sagt der 58-Jährige. In den Landtag hat es für ihn aber nicht gereicht.

Deutlich abgeschlagen ist die Linke. „Es ist schade. Ich habe gedacht, wir kommen mit fünf bis sechs Prozent knapp rein“, sagt die Kandidatin Gitte Hutter. Mit 2,2 Prozent liegt sie deutlich hinter den fünf Kandidaten der Parteien, die den Einzug in den Landtag geschafft haben. Die Leonberger Gemeinderat sieht den Wahlkampf dennoch nicht als verlorene Zeit an. „Ich habe wieder viel dazu gelernt. Zum Beispiel, dass die anderen alle nur mit Wasser kochen“, sagt Hutter. Politik könne jeder, der sich engagiere, viel Herzblut hinein stecke und stets ein klares Profil zeige. „Ich ich werde weiter für soziale Belange kämpfen.“

Genau 14,9 Prozent hat Miguel Klauß auf Anhieb für die AfD geholt – das drittbeste Kandidatenergebnis im Wahlkreis Leonberg, noch vor der SPD und der FDP. Für eine Stellungnahme ist der 29 Jahre alte Jettinger aber nicht zu erreichen.

Überraschung im Enzkreis: Grün gewinnt

Im Wahlkreis Leonberg war es erwartet worten, doch der Enzkreis galt als sichere Hochburg der Union. Doch auch hier schaffen es die Grünen mit 26,8 Prozent, ganz knapp vor der CDU (24,7 Prozent) zu liegen. Das hängt vor allem mit einem fulminanten Aufstieg der AfD auf weit überdurchschnittliche 19,2 Prozent zusammen, die offenbar bei den Konservativen im großen Stil gewildert haben.

Denn die CDU verliert dramatisch 16 Prozent der Stimmen. Die grüne, nun direkt gewählte Kandidatin Stefanie Seemann ist überwältigt: „Wahnsinn. Damit habe ich nicht gerechnet.“ Sie sei skeptisch gewesen, ob sie überhaupt in den Landtag einziehen könne – einen Sieg im konservativen Enzkreis hätte sie hingegen „nicht auf dem Schirm“ gehabt. „Grüne Direktmandate gab es bislang nur in Universitätsstädten“, sagt Seemann. Den Erfolg der AfD kann sie sich nicht erklären: „Ausgerechnet in einer wirtschaftlich starken Region.“ In Pforzheim-Stadt erzielt die AfD sogar ein Direktmandat mit 24 Prozent und erreicht fast sachsen-anhaltinische Verhältnisse. Im Enzkreis wird der AfD-Kandidat Bernd Gögel aus Tiefenbronn Abgeordneter.

Die noch amtierende CDU-Abgeordnete Viktoria Schmid hingegen muss eine bittere Niederlage einstecken. Gegen 23 Uhr steht fest: Sie verliert ihr Landtagsmandat. „Ich habe damit absolut nicht gerechnet“, sagt eine sichtlich niedergeschlagene Schmid am Abend. „Dass es eng wird, war klar. Aber das ist doch überraschend.“ Sie führt ihre Verluste auf die außerordentlichen Gewinne der AfD zurück. Der FDP-Wahlkreis- und Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke ist am Abend ständig im Fernsehen präsent, erreicht immerhin mit 10,4 Prozent ein zweistelliges Resultat.