Die Spitzen von CDU und CSU wollen vor der Hessen-Wahl in zwei Wochen jeden Streit vermeiden. Denn in Wiesbaden geht es für die Union ums Ganze.

Berlin/Wiesbaden - Auch in der Stuttgarter Landes-CDU schüttelt ein prominentes Mitglied den Kopf. Es sei ein „zynisches Timing“ gewesen, was Hessens CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier am bayerischen Wahlsonntag gemacht habe: Noch als die Wahllokale offen waren, wurde er in einem Interview mit den Worten zitiert, die CSU habe die Union in der letzten Zeit „viel Vertrauen gekostet“, und man habe den Eindruck gehabt, dass die Regierung im Bund nicht handlungsfähig sei.

 

So etwas nennt man bei der Armee wohl „friendly fire“. Aber Bouffiers Wut auf CDU und CSU im Bund ist enorm, und zu seiner Aussage steht er: „Ich habe doch nur gesagt, was alle sagen“, betonte er am Montag im Hessischen Rundfunk.

Bouffier gibt Berlin und München die Schuld

Das „Durcheinander“ der Union im Bund sei schuld daran, dass die hessische CDU in den Umfragen vor der Landtagswahl am 28. Oktober im Tiefflug segelt. Das ist bei den Christdemokraten in Wiesbaden einhellige Meinung. Gemessen am Ergebnis der Landtagswahl 2013 stürzte die CDU in der jüngsten Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen um 9,3 Prozentpunkte auf noch 29 Prozent.

Die Hessen-SPD mit ihrem Spitzenkandidaten und Ypsilanti-Nachfolger Thorsten Schäfer-Gümbel fiel sanfter um 7,7 Prozentpunkte auf 23 Prozent. Für das einst als „rotes Hessen“ bekannte Bundesland ist auch das ein Armutszeugnis für die Genossen, während Grüne und AfD im Aufwind sind. Aber besonders am Christdemokraten Bouffier nagt es, dass er angesichts einer seiner Ansicht nach stolzen Leistungsbilanz das Ende seiner Koalition vor Augen hat: Es wird wohl nicht mehr reichen für Schwarz-Grün. Bei einer Wahlveranstaltung im barocken Orangerie-Schlösschen von Darmstadt vergangene Woche entfuhr dem 66-Jährigen vor rund 100 Bürgern ein zornig-ironischer Satz, der sein ganzes Dilemma spiegelt.

Schwarz-Grün droht das Aus

Bouffier berichtete, er bekomme für seine Arbeit hohe Zustimmungsquoten, und rief dann in den Saal: „Verdammt noch mal, dann müsst ihr uns doch auch wählen!“ Das Land Hessen stehe „hervorragend da“, da sei es „doch wurscht, was in Berlin passiert“. Das ist es allerdings nicht.

Haustürwahlkämpfer wie der Darmstädter CDU-Kreisvorsitzende René Kirch (34) erzählen, dass „die Bürger eigentlich nur ihre Unzufriedenheit mit der Politik allgemein loswerden wollen“. Landesthemen? Fehlanzeige. Bouffiers stolze Bilanz interessiert keinen: eines der sichersten Länder, die meisten Ausgaben für Bildung, die niedrigste Quote an Jugendlichen ohne Schulabschluss und die höchsten Facharbeitergehälter der Republik, die in Hessen laut Bouffier noch 2000 Euro über denen von Bayern und 2500 Euro über denen von Baden-Württemberg liegen.

Bouffier ist seit acht Jahren Ministerpräsident, und ob er das mit seinem Wahlmotto „Damit Hessen stark bleibt“ in zwei Wochen noch sein wird, ist äußerst fraglich. Nach derzeitigem Umfragestand wäre eine ungeliebte Groko in Wiesbaden möglich. Denkbar ist auch Jamaika (CDU, Grüne, FDP) – und im Bereich des Möglichen ein rot-rot-grünes Bündnis oder eine Ampel (SPD, Grüne, FDP).

In der Hessen-CDU heißt Bouffier nur „Bouffi“

Aber noch ist für Bouffier nicht alles verloren. Die CDU in Berlin schwelgt in Solidarität. Selbst Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier trägt den Button, der die neue Selbstbeschwörung der Union verkörpert. Als er am Montag das Foyer des Konrad-Adenauer-Hauses betritt, prangt auf seinem Revers die Botschaft, die das bayerische Debakel übertünchen soll: „Jetzt geht’s um Hessen: Bouff!er“. Mit dem Ausrufezeichen in der Mitte lässt sich der Spitzname von Bouffier herauslesen, den sie in der Partei nur „Bouffi“ nennen.

Eines ist nach der Schlappe der bayerischen Schwesterpartei klar: So viel Bouffier war noch nie in der CDU. Der Vizeparteivorsitzende erhält in der Parteizentrale am Berliner Tiergarten seinen eigenen Pressetermin und darf gemeinsam mit Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer ein neues Wahlplakat enthüllen – mit derselben Aussage wie auf den Buttons.

Hessen sei anders, heißt es bei der CDU

So schaut der Unionsmann der Stunde nur nach vorne. „Hessen ist anders“, beschwört Bouffier die Zuhörer. Er will raus aus dem Fahrwasser des für CDU und CSU so schlechten Bundestrends. Er hat das schon vor Wochen versucht, indem er bei der Kanzlerin intervenierte und eine schnelle Lösung für die von Fahrverboten im Raum Frankfurt bedrohten Dieselfahrern anmahnte.

Dass es in der Koalition auf dem Weg zum Dieselkompromiss und bei der Umsetzung schon wieder knirscht, passt Bouffier überhaupt nicht. Damit der ständige Berliner Krach nicht seine landespolitischen Erfolge überlagert, gibt Bouffier einen Verhaltenskodex für die Union aus: „Kein Streit, kein Zoff.“

Sehen Sie hier den Videokommentar: „Seehofer müsste zurücktreten.“

Damit ist Bouffier der Mann, der eine innerlich aufgewühlte Union zum Stillhalten zwingt – in München wie in Berlin. „Das können wir dem Bouffi nicht antun“, heißt es aus der CSU, wenn danach gefragt wird, wieso sich der Unmut über Parteichef Horst Seehofer derzeit noch nicht entlädt. Schließlich ist unvergessen, wie Bouffier, der in beiden Schwesterparteien gut gelitten ist, vor der Sommerpause eine große Rolle dabei spielte, dass eine Union überhaupt noch existiert.

Bürger sehen die Schuld bei Seehofer

Auch in der CDU ist der Burgfrieden vor dem 28. Oktober verständlich. Gefragt nach dem Verantwortlichen für den schlechten Zustand der CSU nannten die Befragten einer Infratest-Umfrage jetzt zwar zu 56 Prozent Bundesinnenminister Seehofer, allerdings bezeichneten auch 24 Prozent der Bayern Kanzlerin Angela Merkel als das Hauptproblem. Unionsinternen Zwist über solche Fragen darf es nun nicht mehr geben – für zwei Wochen. „Hessen überstehen“, gibt ein Mitglied des CDU-Bundesvorstands nach der Sitzung am Montag als Devise aus.

Natürlich gibt es Zweifel, ob die „Wir sind Bouffi“-Strategie überhaupt durchgehalten wird. So hat etwa am Sonntag Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther der gesamten CSU-Führung heftige Vorwürfe gemacht. „Die CSU muss insgesamt über ihre Führung nachdenken“, sagte Günther dem „Handelsblatt“. Ihr Politikstil passe nicht mehr in die Zeit. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wies Günthers Kritik postwendend als „Provokation“ zurück.