Baden-Württemberg war fast sechs Jahrzehnte fest in CDU-Hand. Dann kam Winfried Kretschmann. Zehn Jahre später liegen seine Grünen in den Umfragen weit vor der CDU. Der Union und Armin Laschet droht ein Fehlstart ins Superwahljahr.

Stuttgart - In Baden-Württemberg wird an diesem Sonntag ein neuer Landtag gewählt. Nach Umfragen dürften die Grünen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann wie schon 2016 stärkste Kraft werden. Ihrem Koalitionspartner CDU werden Verluste vorhergesagt. Ob das grün-schwarze Regierungsbündnis fortgesetzt wird, ist unsicher. Die Grünen könnten womöglich eine Ampel-Koalition mit SPD und FDP bilden.

 

Im Südwesten sind 7,7 Millionen Bürger wahlberechtigt, darunter sind etwa 500 000 Erstwählerinnen und Erstwähler. Die Wahllokale sind von 8.00 bis 18.00 Uhr geöffnet. Wegen der Corona-Pandemie haben viele schon früher per Brief abgestimmt. Der Wahlkampf spielte sich vor allem im Netz und im Fernsehen ab. Im Zentrum stand der Umgang mit der Corona-Pandemie und dem Lockdown. So ist die Ausgangslage:

Umfragen

Die Grünen liegen in allen Umfragen deutlich vor der CDU. Die Ökopartei schafft zwischen 32 und 34 Prozent, die Union mit Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann nur 23 bis 24 Prozent. Es wäre für die CDU das schlechteste Ergebnis jemals im Land. Die SPD liegt zwischen 10 und 11 Prozent, was ebenfalls ein Minusrekord wäre. Die FDP dürfte sich den Umfragen zufolge in ihrem Stammland auf 11 Prozent steigern. Die AfD kommt nicht an ihr Ergebnis von vor fünf Jahren (15,1) heran, aber auf 11 bis 13 Prozent. Die Linke käme mit 3 Prozent wieder nicht in den Landtag.

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Popularität

Kretschmann soll Landesvater bleiben: Etwa zwei Drittel der Baden-Württemberger hätten laut Umfragen lieber den Grünen weiter als Ministerpräsident, nur um die 13 Prozent wünschen sich Eisenmann. Besonders bemerkenswert: Nur gut ein Viertel der CDU-Anhänger wollen sie als Regierungschefin, aber 60 Prozent wollen Kretschmann behalten. Die Kultusministerin hatte sich im Endspurt zur Wahl deutlich angriffslustiger gegeben und Kretschmanns Kurs in der Corona-Pandemie kritisiert - vor allem beim Impfen und Testen. Zudem kämpfte sie für offene Schulen, ist deshalb aber immer wieder unter Beschuss bei Lehrer- und Elternverbänden geraten.

Koalitionen

Im Südwesten hätten Grün-Schwarz und eine Ampel jeweils eine stabile Mehrheit. Kretschmann hält sich alles offen - nur mit der AfD will er auf keinen Fall. Eine Neuauflage von Grün-Rot wie in Kretschmanns erster Amtszeit ist womöglich in Reichweite. Ähnlich wie ein völlig neues Bündnis aus Grünen und FDP. FDP-Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke hat schon erklärt, die Liberalen würden sich Gesprächen über eine sogenannte Limetten-Koalition nicht verweigern. Eine von der CDU angedachte Deutschland-Koalition mit SPD und FDP wäre rechnerisch eventuell möglich - allerdings hat SPD-Parteichef Andreas Stoch schon abgewunken.

 

Stimmungstest

Die Landtagswahlen im Südwesten und Rheinland-Pfalz gelten als erster Stimmungstest vor der Bundestagswahl am 26. September. Für die Union, die bundesweit in den Umfragen weit vor den Grünen liegt, könnten die Resultate der CDU in beiden Ländern ein schwerer Rückschlag werden. Der neue CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet hat schon vor Wochen erklärt, die Wahlen seien Landessache. Allerdings kommt erschwerend noch die Maskenaffäre zweier Unions-Bundestagsabgeordneter hinzu. Auch in Rheinland-Pfalz liegt die SPD mit Regierungschefin Malu Dreyer vor der CDU. Dagegen dürfte ein Top-Ergebnis der Südwest-Grünen der Bundespartei Rückenwind geben.

Machtkampf

Bei der CDU droht im Fall des vorhergesagten Absturzes ein Machtkampf um die künftige Aufstellung. Die 56-jährige Eisenmann, die auch um ihr Direktmandat bangen muss, dürfte schlechte Karten haben, wenn das CDU-Ergebnis weit unter den 27 Prozent von 2016 liegen sollte. Die Ministerin hatte sich im Machtkampf um die Spitzenkandidatur so manche Feinde in der Partei gemacht, als sie mit Hilfe der Fraktion Vize-Ministerpräsident und Landeschef Strobl zur Seite drängte. Strobl gilt als Vertrauter Kretschmanns und könnte wohl am ehesten Verhandlungen über eine neue grün-schwarze Koalition führen. Aber: Auch er muss um ein Direktmandat in Heilbronn bangen. Die CDU will unbedingt verhindern, neben der AfD in der Opposition zu landen.

Schon jetzt deutet sich eine Kampfkandidatur um den Fraktionsvorsitz an. Der Posten wäre im Fall eines Rauswurfs aus der Regierung einer der wenigen prestigeträchtigen und besser dotierten Jobs. Amtsinhaber Wolfgang Reinhart setzte am Freitag kurzfristig die Fraktionssitzung für Montagvormittag an. Dort will er sich gleich bestätigen lassen. Reinhart, der wohl sein Direktmandat im Wahlkreis Main-Tauber holen wird, sieht sich auch als „Brückenbauer“ zu den Grünen. Gegner des 64-Jährigen argwöhnen, Reinhart wolle schnell nach der Wahl Fakten schaffen, um möglichen Gegenkandidaten keine Zeit zu geben, sich zu organisieren. Als denkbarer Bewerber wird Generalsekretär Manuel Hagel (32) genannt, der für einen Generationswechsel stünde. Aber auch er muss erstmal sein Direktmandat in Ehingen holen und eventuelle Kritik an seiner Arbeit als Wahlkampfmanager überstehen.