Einen „scharfen Rechtsruck“ und einen „Schlag“ für die Große Koalition sieht die internationale Presse in den Wahlergebnissen. Wie verschiedene Zeitungen das Geschehen einordnen.

Stuttgart - In Deutschland zeigten sich am Abend der Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg viele Beobachter erleichtert. Entgegen anderslautender Befürchtungen in den Tagen vor der Abstimmung ist die AfD in keinem der beiden Bundesländer stärkste Kraft geworden. Sie erzielte jedoch große Zuwächse und landet jedoch sowohl in Sachsen als auch in Brandenburg auf Platz zwei. Zweierbündnisse werden in beiden Ländern nicht mehr für die absolute Mehrheit reichen. Wie blickt die Welt am Tag nach der Wahl auf Deutschland?

 

Die „Neue Zürcher Zeitung“ geht auf den Slogan „Vollende die Wende“ ein, mit dem die AfD vor den Wahlen in den beiden Bundesländern geworben hatte. Führende Köpfe der Partei hatten etwa in Reden darauf angespielt, dass angeblich die Meinungsfreiheit in Deutschland heute – wie einst in der DDR – wieder eingeschränkt sei. „Dieser Wahlsonntag macht einmal mehr deutlich, dass die AfD so schnell nicht wieder verschwindet“, schreibt die „NZZ“. „Eine Wahlparole wie ‚Vollende die Wende’, dreißig Jahre nach dem Mauerfall, mag auf die meisten Deutschen verstörend wirken. Im Osten trifft die Partei damit das Empfinden einer großen Bevölkerungsschicht.“

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Die AfD als „neue politische Heimat“

Im Zürcher „Tagesanzeiger“ heißt es am Montag zu den Wahlen: „Die AfD erreicht mit den jüngsten Erfolgen eine neue Stufe in ihrer Entwicklung: Sie hat die Hülle einer reinen Protestpartei abgestreift und sich zumindest im Osten als neue Volkspartei etabliert. Vielen Ostdeutschen gibt die AfD eine neue politische Heimat. Jenen Bürgern etwa, die sich von ihren Regierungen jahrelang enttäuscht sahen, jenen, die sich als Ostdeutsche vernachlässigt fühlen, jenen, die Deutschland den Deutschen vorbehalten wollen und Solidarität nur den Einheimischen gönnen, jenen, die überhaupt mit der liberalen Demokratie fremdeln. Ihnen allen – es sind doppelt so viele Männer wie Frauen – verleiht die AfD eine Stimme.“

Der Londoner „Guardian“ (Online-Ausgabe) sieht in dem Ergebnis einen „scharfen Rechtsruck“ und damit einen „Schlag“ für die Große Koalition: „Die einwanderungsfeindliche Alternative für Deutschland hat am Sonntag bei zwei wichtigen Landtagswahlen starke Zugewinne erreicht und ihre Unterstützung erheblich ausgeweitet, die etablierten Parteien jedoch nicht gestürzt. Aber der scharfe Rechtsruck in Sachsen und Brandenburg – die AfD wurde in beiden Bundesländern zweitstärkste Kraft – ist ein Schlag für Angela Merkels Koalition aus Christdemokraten und Sozialdemokraten. Beide Parteien haben Tausende von Wählern an die AfD verloren. Zudem war die AfD in der Lage, Hunderttausende zu mobilisieren, die zuvor nie zur Wahlen gingen, wie erste Analysen zeigen.“

Sehen Sie im Video: Das Wichtigste zu den Wahlen in Sachsen und Brandenburg.

Druck auf Merkel verringert

Ebenfalls aus London sieht „The Telegraph“ die deutsche Bundeskanzlerin nach den Wahlen in einer komfortableren Situation. Das Ergebnis verringere den unmittelbaren Druck auf Merkel und ihre Nachfolgerin als CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. „Jedoch hat die CDU in ihrer früheren Hochburg Sachsen ihr schlechtestes Ergebnis eingefahren und steht dort nun vor der schwierigen Aufgabe, in einem gespaltenen Landtag eine neue Koalition zu formen“, schreibt „The Telegraph“ in seiner Online-Ausgabe.

Die „New York Times“ ordnet die Landtagswahlen in einen größeren Zeithorizont ein: „Das Ergebnis zeigt die kontinuierliche Fragmentierung von Deutschlands politischem System der Nachkriegszeit, das jahrzehntelang von zwei dominierenden Volksparteien, einer linkeren und einer konservativen, geprägt war.“ Die Zeitung unterstreicht zudem, dass Einwanderer in Sachsen und Brandenburg jeweils weniger als fünf Prozent der Bevölkerung ausmachten – die AfD aber trotzdem mit einem Wahlkampf punkten konnte, der auf Ängste anspielte, dass angeblich mehr Geld für Geflüchtete und Migranten als für Deutsche ausgegeben werde.

Mehrheit hat nicht AfD gewählt

Die österreichische Zeitung „Der Standard“ betont, dass die große Mehrheit der Wähler eben nicht AfD gewählt habe – und dass die Zuwächse der Partei viele verschiedene Gründe habe. „Warum die AfD gerade im Osten so stark ist, lässt sich nicht auf einen Punkt bringen – aber es gibt mehrere Erklärungen“, heißt es in der Online-Ausgabe des „Standards“. Unter anderem gehöre dazu, dass Bürger in Ostdeutschland noch weniger an Parteien gebunden seien als in Westdeutschland. „Auch verspricht die AfD an der Seite jener zu stehen, die noch mehr Veränderungen scheuen. Und das sind im Osten viele Menschen, deren Biografien sich nach 1989 durch die neuen Verhältnisse sehr stark geändert haben – nicht immer zum Positiven. Viele verloren nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern bekamen auch vermittelt, dass viele ihrer Werte nichts mehr gelten. CDU und SPD werden sich damit auseinandersetzen müssen, denn eines haben die Wahlen sehr deutlich gemacht: So schnell verschwindet die AfD nicht wieder.“

Die russische Regierungszeitung „Rossijskaja Gaseta“ schreibt zum Ausgang der Landtagswahlen am Montag: „In zwei ostdeutschen Bundesländern, in Sachsen und Brandenburg, fanden am Sonntag Landtagswahlen statt, auf die – ohne Übertreibung – die Aufmerksamkeit des ganzen Landes gerichtet war. Nach vorläufigen Daten (...) wurde die Alternative für Deutschland in beiden Regionen zweitstärkste politische Kraft. Darüber hinaus hat die Partei in Sachsen, wo ihre Kandidaten im Wahlkampf massiv ausgeschlossen wurden, das Ergebnis fast verdreifacht und in Brandenburg fast verdoppelt. Alle deutschen Medien, die die Ergebnisse kommentierten, nannten diese Partei ‚den größten Sieger dieser Wahl’.“