Die Schauspielerin Corinna Harfouch und der Regisseur Jan-Ole Gerster sprechen über ihren gemeinsamen Film „Lara“, die Vorzüge einer statischen Kamera und Deutschlands Osten.

Stuttgart - Eine Figur wie ein Rasiermesser spielt Corinna Harfouch in „Lara“, eine mondäne Zynikerin – der man trotzdem eineinhalb Stunden lang gebannt durch Berlin folgt. Am Donnerstag waren Harfouch und ihr Regisseur Jan-Ole Gerster beim Festival Lichtspielliebe zu Gast im Ludwigsburger Scala.

 

Frau Harfouch, Sie bekommen sicherlich unzählige Angebote. Wie wählen Sie Ihre Rollen aus?

Harfouch: Es nicht so, dass sich auf meinem Schreibtisch die Drehbücher stapeln. In der deutschen Filmlandschaft ist das Rollenangebot ohnehin recht überschaubar – vor allem wenn es um weibliche Figuren eines gewissen Alters geht. Lara war diesbezüglich eine seltene Ausnahme.

Haben Sie die „Lara“ mitentwickelt?

Harfouch: Nein, das Buch brachte bereits alles mit. Aber ein Buch ist eben auch nur ein Buch – es kommt letztendlich auch darauf an, ob ich mich mit dem Regisseur über die Rolle verständigen kann, damit daraus eine lebendige Figur entsteht. In diesem Fall hatten wir sofort eine gemeinsame Sprache. Ob man sich auf ein Projekt einlässt oder nicht, hat auch viel mit Instinkt zu tun. Wir waren beide der Überzeugung, dass die Figur nicht gänzlich ergründet werden sollte. Eher eine Annäherung, bei der man ihr ein bisschen von ihrem Geheimnis lässt. Im Lauf der Jahre habe ich eingesehen, dass es besser ist, sich an Dingen zu reiben, die einem nicht sofort einleuchten, als sich alles so hinzuschreiben, dass es einem passt. Es ist viel interessanter, wenn nicht alles gleich so mundgerecht ist.

Wie nähert man sich so einer zerrissenen Figur?

Harfouch. So schwer ist das gar nicht. Zerrissenheit ist für mich eigentlich das Normale, ich unterstelle jedem Menschen Zerrissenheit. Wer von sich behauptet, nicht zerrissen zu sein, hat sich gut zugemauert. Ich glaube, dass es diesen berühmten Kern in einem Menschen gar nicht gibt, sondern dass es sehr darauf ankommt, wo der Wind ihn hinweht und wem er unterwegs zufällig begegnet.

Lara ist eine sehr strenge Person, aber sie hat Charisma und kann mit einem Lächeln die Leute für sich einnehmen. Fällt es Ihnen leicht, so ein Lächeln anzuknipsen?

Harfouch: Ich sehe rund um mich herum Menschen, denen das unendlich leicht fällt und auf diese scheinprofessionelle Weise mit Menschen umzugehen. Die zeigen irgendwelche Masken und kommen damit durch. Schauspielern wir ja immer unterstellt, sie würden sich in jeder Situation so verhalten. Gute Schauspieler arbeiten aber eher darauf hin, zu sich selbst zu kommen.

Herr Gerster, Sie haben wie in „Oh Boy“ wieder mit einer zentralen Hauptfigur gearbeitet, um die alles kreist. Wie war das mit Corinna Harfouch?

Gerster: Ich hatte natürlich große Ehrfurcht, weil Corinna am Theater und im Film mit so vielen großen Regisseuren gearbeitet hat und „Lara“ ja erst mein zweiter Film ist. Corinna und ich kannten uns auch vorher nicht persönlich. Ich hatte sie vor einigen Jahre im Theater gesehen und war regelrecht erleuchtet und verzaubert. Ich dachte: diese Frau ist der Wahnsinn, ich muss unbedingt mit ihr arbeiten. Als ich Jahre später das Drehbuch zu „Lara“ entdeckte, erschien sie mir bereits auf Seite zwei vor meinem geistigen Auge und ich konnte mir auch bis zuletzt niemand sonst in dieser Rolle vorstellen. Ob ich den Film machen würde oder nicht, habe ich von ihrer Zusage abhängig gemacht.

Aktuell werden 30 Jahre Mauerfall begangen, doch es wird offenbar mehr diskutiert als gefeiert. Was ist da schiefgegangen?

Harfouch: Worauf ich überhaupt keine Lust mehr habe, ist Jammerei, das ist eine ganz schlechte Angewohnheit. Natürlich gibt es Gründe, Unmut zu empfinden. Ich lebe in Brandenburg, da gibt es viele AFD-Wähler und Schlimmeres. Das hat seine Ursachen in Ost und West und es ist in den letzten drei, vier Jahren deutlich sichtbar geworden, dass die Einigung nicht gelungen ist. Weil wir uns nicht darüber geeinigt haben, was wir miteinander vorhaben, wie wir miteinander leben wollen, was für Werte und Dinge wir wichtig finden.

Ihre Karriere hat in der DDR angefangen – gab es Unterschiede in der Kunst?

Harfouch: Es gibt schon ein davor und danach. Ich habe im Osten ja mit Leuten wie Heiner Müller gearbeitet und Theater war für mich immer ganz klar politisches Theater, das große Zusammenhänge herstellt. Nach der Wende habe ich lange gebraucht, um große Geschichten in den kleinen Geschichten erzählen zu wollen, wie das im Westen üblich war.

Einen Oscar gab es für „Das Leben der anderen“, gedreht von einem West-Regisseur. Martina Gedeck spielt darin eine Schauspielerin in der DDR, die Sie damals hätten sein können, wenn es so gewesen wäre. Wie haben Sie den Film empfunden?

Harfouch: Das wäre so nie passiert. Ich habe eine ziemliche Aversion gegen Filme, die dieses DDR-Stasi-Thema ungut behandeln. Der Film besteht aus lauter kleinen Wahrheiten die am Ende zu einer großen Lüge werden.

Weil es nicht so schlimm war?

Harfouch: Das hat mit schlimm oder nicht schlimm gar nichts zu tun, es war manchmal schwierig und manchmal weniger. Der Film ist letztlich schon in Ordnung, aber er sollte nicht der Film sein, der in Schulen gezeigt wird als exemplarischer Fall, wie die DDR angeblich war. Das greift viel zu kurz.

Zurück zu „Lara“: Herr Gerster, die Kamera verharrt durchweg statisch, es gibt keine Schwenks, keine Fahrten, keine Zooms. War das von Anfang an so geplant? Gab es ein Storyboard?

Gerster: Ich bin kein großer Freund von Storyboards. Sie können dazu verleiten, den Dreh unlebendig zu machen und nehmen den Raum für Spontanes, weil man sich an einem Plan entlanghangelt, den man am Schreibtisch ausgeklügelt hat. Dadurch verpasst man möglicherweise tolle Chancen, die beim Drehen entstehen. In komplexeren, planungsintensiveren Sequenzen, können Storyboards jedoch helfen, den Überblick zu bewahren. Der Kameramann Frank Griebe und ich waren uns schnell einig, dass es reizvoll wäre, den Film sehr statisch und streng zu gestalten in hermetisch abgeriegelten Bildern, die auch durch die Bildsprache etwas über Laras Charakter erzählen. Das ist ein bisschen ungewöhnlich und auch nicht immer praktisch, wenn man die Kamera so zementiert, weil das die Schauspieler einengt. Aber Corinna hat es schnell eingeleuchtet.

Harfouch: Ich mochte das und habe dadurch einen entscheidenden Impuls für die Figur bekommen. Man sieht ja beim Spielen nicht dieses Bild, aber man sieht, dass die Kamera sich nicht bewegt, und agiert entsprechend. Das Schöne war, dass wir das gar nicht besprochen haben, sondern dass mir das am dritten Tag erst aufgefallen ist. Frank ist sonst einer, der gerne alle Möglichkeiten der bewegten Kamera ausreizt.

Gerster: Nur in einer Szene bin ich ins Schwitzen gekommen: Im Haus von Laras Mutter war es wahnsinnig eng und wir haben in Cinemascope gedreht, das braucht immer viel Platz. Ich dachte, ohne Schwenk können wir die Szene nicht einfangen. Aber auch dafür haben wir eine Lösung gefunden. Das ist das schöne an Einschränkung – sie beflügelt die Kreativität.

Frau Harfouch, Sie hatten in Stuttgart denkwürdige Theater-Auftritte, etwa in „Herr Ritter von der traurigen Gestalt“. Wann kommen Sie wieder?

Harfouch: Stuttgart hat ein tolles Theater-Publikum, ich war immer sehr gerne hier, aber ich kann es nicht sagen. Ich hatte gerade Premiere in Hannover mit „Orlando“ von Virginia Woolf, und das Schöne an Hannover ist der Schnellzug nach Berlin. Für mich wird es mehr und mehr zum Problem, so lange nicht zu Hause zu sein. Und da wir alle nicht mehr fliegen wollen, ist Stuttgart leider schon heftig weit weg. Aber man soll nie nie sagen.

Das Gespräch führte Bernd Haasis