Hinter den Kulissen in der Union sind gerade gute Nerven gefragt. Niemand weiß, wie der Machtpoker um die K-Frage ausgeht und welche Folgen er haben wird. Klar ist nur: Es muss schnell gehen.

Berlin/München - „Machtkampf um Deutschland“, „Erbittertes Duell um die Macht“, „Laschet und Söder bekämpfen sich“: Ein kurzer Blick auf die Titelseiten genügt, um ein Gespür dafür zu bekommen, in welch schwere Krise die Union bei ihrer Suche nach einem Kanzlerkandidaten geraten ist. Tatsächlich ist die Lage nach dem vierstündigen Schlagabtausch zur K-Frage in der Unionsfraktion keinen Millimeter klarer als nach dem auf Harmonie gedrillten Auftritt der Parteichefs Armin Laschet (CDU) und Markus Söder (CSU) am Sonntag.

 

Trotz aller Lippenbekenntnisse der vergangenen Monate: Wieder mal ist klar, dass CDU und CSU am Scheideweg stehen. Zumindest in dem Punkt waren und sind sich in der Union alle einig: öffentlicher Streit untereinander hat den Konservativen noch immer geschadet. Und bis zur Bundestagswahl sind es nur noch fünfeinhalb Monate.

WIE IST DER STAND DER DINGE?

Ganz genau weiß das niemand so richtig. Söder selbst bezeichnete die Situation in einer Sitzung der CSU-Landtagsfraktion am Mittwoch in München als „völlig offen“. CDU und CSU stehen sich in Person von ihren Parteichefs fast unverrückbar gegenüber. Beide haben den Rückhalt ihrer Spitzengremien. Aber nachdem am Dienstag aus der Unionsfraktion viele Rufe pro Söder zu hören waren, ist eine neue Lage entstanden. Von einem Schlag ins Kontor für Laschet ist die Rede, sagen selbst Wohlmeinende. Dabei kreisen die Sorgen nicht nur um die Personalentscheidung. Auch die Wirkung auf die Umfragewerte ist völlig unklar.

WAS BEDEUTET DIE AKTUELLE LAGE FÜR ARMIN LASCHET?

Vor allem eine Nervenprobe. Lässt Laschet sich von der Stimmung pro Söder selbst unter CDU-Parlamentariern beeindrucken und bietet er dem Bayern die Kanzlerkandidatur an? In der Hoffnung, gesichtswahrend wenigstens Ministerpräsident im größten Bundesland bleiben zu können? Oder verlieren mächtige Mitglieder des CDU-Präsidiums unter dem Druck der Basis die Nerven, und fordern von Laschet einen Verzicht?

In der Fraktion setzen einige auf einen solchen Schritt - wissend, dass dies spätestens nach der Bundestagswahl Laschets Aus als Parteichef und womöglich auch sein Ende als NRW-Regierungschef bedeuten könnte. Denn dass Laschet derart angeschlagen im Frühjahr 2022 die Macht am Rhein verteidigen könnte, glauben etliche nicht. Nach Annegret Kramp-Karrenbauer wäre Laschet der zweite Vorsitzende, den die CDU innerhalb kürzester Zeit verschlissen hätte. Solche Rufe nach einem Verzicht Laschets zeigten, wie weit die Sozialdemokratisierung der Partei vorangeschritten sei, kommentieren erfahrene CDU-Insider sarkastisch. Die SPD hatte in den vergangenen Jahren sehr oft ihre Vorsitzenden gewechselt.

Laschet will nicht klein beigeben

Doch Anzeichen, dass Laschet tatsächlich klein beigeben und seinem Rivalen die Kandidatur freiwillig antragen wird, gibt es zunächst nicht. Enorm wichtig sei das einmütige Votum der CDU-Spitze vom Montag für seine Ambitionen gewesen, wird stattdessen betont. Unter dem Strich habe sich außerdem in der Fraktion nur ein kleiner Teil aller CDU-Abgeordneten als Söder-Anhänger bekannt. Bei einer geheimen Abstimmung, glauben einige in der CDU, wären Söder selbst in der eigenen Landesgruppe nicht alle Stimmen sicher. So hatte sich am Dienstag beispielsweise der seit 2005 im Bundestag sitzende CSU-Mann Alois Karl klar für Laschet ausgesprochen.

Wichtige und große Landesverbände stünden außerdem weiterhin hinter dem Vorsitzenden, sind sie sich in der CDU-Führung sicher. Söder habe mit seiner Taktiererei überreizt, ist eine Einschätzung. Gerade dessen Volte, seine Bereitschaft zur Kandidatur von einer Unterstützung der CDU abhängig zu machen, um dann Präsidium und Vorstand der großen Schwesterpartei nach deren einmütigem Votum für Laschet zu diskreditieren, werde ihm nicht nur in der CDU-Spitze, sondern auch in vielen Kreisverbänden übel genommen.

WAS BEDEUTET DIE LAGE FÜR MARKUS SÖDER?

Der ehrgeizige Franke muss derzeit etwas machen, was er nicht gerne tut: abwarten. Anders als bei früheren Machtkämpfen in der CSU ist sein Einfluss in der CDU begrenzt. Der Ball liegt daher bei Laschet. Dieser ist nun am Zug. Denn - so ist aus der CSU zu hören - letztlich müsse der Impuls für die Lösung von der Schwesterpartei kommen.

Dabei ist die Situation für Söder nicht generell neu. In seiner politischen Karriere setzte er immer auf die Unterstützung der Basis und konnte sich so auch gegen starke Vorbehalte von Funktionären und hohen Parteigremien durchsetzen. So war es auch bei seiner Wahl zum Parteichef und Ministerpräsidenten. Da brachte er sich trotz aller Gegenwehr seines Vorgängers Horst Seehofer am Ende in eine Position, in der dieser dem Druck von CSU-Basis und Landtagsfraktion nicht mehr standhalten konnte.

Söders persönliche Lage ist etwas komfortabler als Laschets

Im Gegensatz zu Laschet ist Söders persönliche Lage aber im Moment noch ein wenig komfortabler. Auch wenn er am Ende nicht als Kanzlerkandidat ins Rennen gehen sollte, ist seine Rolle als CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident unangefochten. Wie sich die Lage verhält, sollte die Bundestagswahl für die Union verloren gehen, muss sich aber zeigen. Wäre Söder der unterlegene Kanzlerkandidat, wäre hier das Abschneiden der CSU von besonderer Bedeutung. Mit einem guten CSU-Ergebnis wäre er wohl auch bei einer Niederlage der Union weiter der starke Mann bei den Christsozialen.

Zudem ist davon auszugehen, dass Söder, sollte er Laschet doch den Vortritt lassen, dafür irgendwann einen ungleich höheren Preis einfordern würde. Doch dafür muss die Union erst die Wahl gewinnen.

WIE GEHT ES JETZT WEITER?

Es sind mehrere Szenarien denkbar. Söder und Laschet haben erklärt, bis zum Ende der Woche eine Lösung präsentieren zu wollen. Wann genau, ist offen. Der Sonntag dürfte ausscheiden, da in Berlin die zentrale Gedenkveranstaltung für die Todesopfer der Corona-Pandemie stattfindet. Da auf Laschet an diesem Donnerstag im NRW-Landtag eine Corona-Sondersitzung wartet, scheidet auch dieser Tag wohl aus. Bleiben eigentlich nur Freitag und Samstag. Die Zeit drängt: Schon am Montag wollen die Grünen bekanntgeben, ob sie mit Robert Habeck oder Annalena Baerbock an der Spitze in den Wahlkampf ziehen.

SZENARIO 1: Laschet hält an seiner Kandidatur fest. Dann müsste Söder, will er die Spaltung der Union nicht besiegeln, zurückziehen.

SZENARIO 2: Laschet schwenkt um und überlässt Söder die Kandidatur.

SZENARIO 3: Die beiden können sich nicht einigen. Dann könnten sie die Entscheidung weitergeben - etwa zur Abstimmung in die Fraktion. Ausgang: Offen.