Das Bild vom starken Mann hält sich hartnäckig in unserer Gesellschaft. Dabei ist es nicht nur ungesund, seine Gefühle runterzuschlucken, sondern auch schlecht für die Beziehung, sagt Paartherapeut Oliviero Lombardi. Warum fällt es Männer so oft schwer, Emotionen zu zeigen?

Stuttgart - Ein Mann weint nicht. Ein Mann kennt keinen Schmerz. Wer glaubt, dass dieses Bild vom starken Kerl ein überholtes Klischee ist, der irrt sich. Meine Praxis ist voll mit Männern, die mit ihren Gefühlen nicht im Reinen sind.

 

Oft laufen die ersten Gespräche in etwa so ab:

„Herr Lombardi, ich bin so unglücklich, und ich weiß nicht mal warum. Ich habe einen super Job, eine tolle Frau, verdiene viel Geld, aber ich habe einfach keinen Spaß daran.“

„An was haben Sie denn dann Spaß?“

„Na, ich weiß es ja nicht!“

Das ist natürlich denkbar ungünstig und liegt oft daran, dass die Männer keinen Zugang zu ihren Gefühlen haben. Denn nur, wenn man in sich reinhören kann, weiß man, was man will. In den meisten Fällen können die Männer aber gar nichts für ihre verkümmerte Emotionalität.

Das Bild vom starken Mann entstand vor vielen Jahren

Wie so oft findet man den Ursprung dafür in der Kindheit. Der Junge lernt vom Vater, wie man sich als Mann verhalten sollte. Zeigt der Vater selten Gefühle oder spricht nicht offen darüber, schaut sich der Sohn das zunächst ungefiltert ab. Dieser Prozess geschieht unterbewusst, kann einen aber ein Leben lang prägen. Natürlich fragt man sich nun zwangsläufig, woher überhaupt das kühle Verhalten des Vaters kam. Erst einmal ist die Antwort einfach: Er übernahm es ebenfalls von seinem Vater, dieser von seinem Vater und so weiter. Das lässt vermuten, dass das Bild von starken Mann schon vor vielen Jahren entstanden ist.

Werfen wir mal einen Blick in die Vergangenheit: Vor tausenden von Jahren waren die Männer noch auf der Jagd. Dabei keinen Wert auf Gefühle zu legen, sondern robust zu sein, war vermutlich von Vorteil und hat sich deshalb evolutionär durchgesetzt. Oder, um es hart zu formulieren: Die Jammerlappen sind wohl irgendwann ausgestorben und die Machos haben überlebt. Was bei den Neandertalern von Vorteil war, führt heutzutage allerdings eher zu Problemen. Denn die Aufgabe des Mannes ist nicht mehr mit Säbelzahntigern zu kämpfen und genug Essen für die Frau anzuschleppen. Heute begegnen sich Mann und Frau anders.

Frauen ist es erlaubt, Gefühle zu zeigen

Wenn nicht über Gefühle gesprochen wird, dann fehlt es einer Beziehung an Tiefe. Tiefe ist aber ein entscheidendes und tragfähiges Element für eine glückliche und langfristige Partnerschaft. Begegnet man dem anderen immer nur auf einer oberflächlichen Ebene, hat man sich nach einem halben Jahr nichts mehr zu sagen.

Typisch ist auch, dass die Frau ein Problem damit hat, dass der Mann ihr zu wenig Liebe zeigt oder ihr schlichtweg nicht sagt, dass er sie liebt. Frauen gehen mit ihren Emotionen in der Regel ganz anders um als ihre Partner. Ihnen ist es gesellschaftlich erlaubt, Gefühle zu zeigen. Oft wird es ihnen sogar als Kompetenz zugeschrieben. Deshalb sehen wir immer noch überwiegend Frauen in Kommunikationsberufen und überwiegend Männer in technischen Berufen. Frauen kommunizieren auch privat mehr. Ihren Frust verarbeiten sie häufig über Gespräche, nicht selten mit anderen Frauen. Männer stürzen sich da eher in die Arbeit, machen viel Sport oder trinken Alkohol.

Immer stark zu sein kann gesundheitliche Folgen haben

Die Frau darf ihrem Partner seine kühle Art allerdings nicht krummnehmen. Oft hat sie sogar ihren Anteil an der Situation. Noch immer wünschen sich viele Frauen einen starken Mann, jemanden, an den sie sich anlehnen können. Dass es ein Widerspruch ist, einerseits einen Macho zu wollen und andererseits jemanden, mit dem man weinen kann, realisieren sie oft nicht. In vielen Fällen muss der Partner auch erst einmal lernen, einen Zugang zu seinen Gefühlen zu finden. Die Frau kann ihm dabei helfen. Das heißt, immer wieder zu Gesprächen einladen, nachfragen und wertschätzen, wenn sich der Mann öffnet.

Oft rennt man da bei Männern offene Türen ein. Sie sind mit ihrem Immer-Stark-Sein meist auch nicht glücklich, das ist nämlich unglaublich anstrengend. Kurzfristig mag es zwar funktionieren, doch irgendwann kommen die harten Brocken an den Punkt, an dem sie ausgebrannt sind, Depressionen oder eine Midlife-Crisis haben.

Dann kommt es oft zu der Erkenntnis, von der ich anfangs erzählt habe. Die Männer stellen fest, dass sie unglücklich sind, haben aber keine Ahnung warum. Hätten Sie besser mal mehr in sich reingehört. Und vielleicht auch mal öfter geweint.

Hier geht es zu Oliviero Lombardis Website.

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