Scham ist ein seltsames Gefühl, findet unsere Kolumnistin Claudia Huber. Wir schämen uns nämlich nicht nur für alles Mögliche, sondern auch für die Scham selbst. Wie man ein bisschen unverschämter werden kann.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Stuttgart - Scham begleitet jeden Menschen, der sexuell heranreift. Das hat auch gute Gründe und ist wichtig: Den total schamfrei zu sein, macht uns sozial inkompatibel, wir wären nicht in der Lage, auf die Gefühle von anderen einzugehen. Das ist auch der Grund, warum wir nicht nackt an die Tür gehen, wenn der DHL-Mann klingelt. Aber wir schämen uns auch schon für weit weniger – und das kann ein Problem sein.

 

Ich hatte mal einen Klienten, der hat beim Gespräch über sexuelle Dinge gekichert wie ein kleines Schulmädchen. Wie sich herausstellte, haben seine Eltern nie mit ihm über Sexualität gesprochen. Er hatte nie gelernt, mit seinem Schamgefühl umzugehen, woraus ein Leidensdruck entstand. Aber wie sollte ein gesunder Umgang mit der Scham überhaupt aussehen?

Sich schämen, sich für was zu schämen

Wie schon erwähnt, ist die Scham an sich ja nichts Schlechtes. Aber es ist auch ein sehr widersprüchliches Gefühl. Frauen schämen sich, wenn sie auf Blümchensex stehen und sie schämen sich, wenn sie auf ein bisschen verrückten Sex stehen. Männer schämen sich dafür, beim Sex zu früh zum Orgasmus zu kommen und sie schämen sich dafür, vermeintlich zu spät zu kommen. Beim Sex zu laut oder zu leise zu sein. Wir schämen uns sogar dafür, dass wir uns schämen.

Wo ich Scham wirklich als sozial bedingtes Problem begreife ist der Vorwurf der Promiskuität an Frauen, wenn sie sich dafür schämen sollen, dass sie angeblich zu viele Partner hatten oder haben. Andererseits hat Scham auch seine reizvollen Seiten und kann sogar erregend sein. Ein luststeigernder Anheizer, wenn es ernst wird und wir uns ein kleines bisschen schämen.

Scham nicht gleich Scham

Scham ist nicht gleich Scham. Das Gefühl ähnelt sich, worüber wir uns schämen, ist sehr verschieden. Und so unterschiedlich die Menschen sind, so individuell ist es auch, den richtigen Umgang damit zu finden. Fragen, die sich vielleicht zu stellen lohnen, um das herauszufinden: Wem nutzt meine Scham eigentlich? Was wäre ein Rahmen, sie auszuleben? Schadet mir meine Scham? Will ich sie so beibehalten?

Wer die richtigen Schlüsse aus diesen Fragen zieht, kann kann innere Grenzen damit sprengen, einen positiven Umgang mit Sexualität und Erkenntnisse gewinnen, wie: Mein Körper ist gut. Was wir dagegen niemals tun sollten: Uns diktieren zu lassen, wofür wir uns zu schämen haben. Denn was uns peinlich ist, entscheiden immer noch wir selbst.

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