Der Erfolg von Internetplattformen, die für Kundenrechte eintreten, belastet die Amtsgerichte. Nicht zuletzt, weil sie immer bekannter werden. Und es ist erst der Anfang einer Entwicklung.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - An deutschen Amtsgerichten verschiebt sich der Arbeitsschwerpunk – zumindest dann, wenn ein Flughafen in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsgebiet liegt. Denn immer häufiger landen Maschinen mit Verspätung, und immer häufiger klagen die Passagiere dagegen – oft unterstützt von modernen Internet-Dienstleistern, die den Anspruch schnell berechnen.

 

Besonders intensiv ist es in Frankfurt

Besonders heftig ist es am Amtsgericht in Frankfurt, dort, wo der größte deutsche Flughafen seinen Sitz hat. Bis Jahresende rechnet man hier mit rund 15 000 Fällen in denen es um Fluggastrechte geht. Insgesamt machen diese Verfahren knapp 60 Prozent aller zivilrechtlichen Streitigkeiten aus, vor zwei Jahren waren es rund 30 Prozent. Ein ähnliches Bild zeigt sich am Amtsgericht Düsseldorf. Im ersten Halbjahr dieses Jahres gingen rund 10 000 Verfahren wegen Reisesachen ein, es geht fast ausschließlich um Fluggastrechte.

Drei mal mehr Fälle am Flughafen Stuttgart

Auch am Amtsgericht Nürtingen, das für den Stuttgarter Flughafen zuständig ist, kennt dieses Problem. Von 2017 auf 2018 hatten sich entsprechende Fälle nahezu verdoppelt, von 1431 auf 2735. Vergleicht man das erste Halbjahr 2018 mit dem ersten Halbjahr des laufenden Jahres zeigt die Kurve noch steiler nach oben. Von 889 stiegen die Fälle auf 2131. Vom 1. Juli an sind bis heute schon mehr Klagen dazugekommen als im gesamten 3. Quartal des Vorjahres.

Eine Statistik darüber, wie häufig Passagiere selbst gegen die Airline vorgehen, und wann sie sich eines Dienstleisters bedienen, gibt es nicht. Allerdings sei „in deutlich mehr als der Hälfte der Fälle“ ein Internetanbieter im Spiel, sagt Werner Geyer, der Verwaltungsleiter des Amtsgerichts Nürtingen gegenüber unserer Zeitung. Und Geyer erklärt, dass sich das Klagen für die Betroffenen lohnt: „Die ganz überwiegende Mehrzahl der Klagen ist begründet“.

Gleichförmige Massenverfahren könnten die Gerichte künftig auch in anderen Bereichen beschäftigen. Bei Kündigungen, Bußgeldverstößen und Bahnverspätungen haben sich inzwischen Firmen etabliert, die mit Hilfe von Algorithmen versuchen, die Arbeit von Anwälten zu reformieren. Solche Plattformen ließen sich im Internet „nicht mehr eindämmen“, sagt Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf gegenüber unserer Zeitung. Man müsse jedoch aufpassen, dass im Netz nicht Konzerne ohne anwaltliches know how ihre Dienste anbieten. „Rechtsberatung über Internetplattformen ist der Anwaltschaft vorzubehalten“, sagt Wolf.

Einen Gesetzesentwurf der Bundestags-FDP, wonach „Sachkunde“ zum Betreiben einer solchen Plattform ausreichen soll, lehnen sowohl Wolf als auch die Anwaltschaft ab. Über die Rechtmäßigkeit der Unternehmen, die derzeit oft in einer Grauzone agieren, entscheidet demnächst der Bundesgerichtshof.