Der Leichtathletik-Weltverband (IAAF) entscheidet an diesem Freitag darüber, ob er russische Läufer, Werfer und Springer von den Olympischen Spielen ausschließt. Olympiasieger Dieter Baumann (Tübingen) hat nicht nur zu diesem Thema eine ganz eigene Meinung.

Tübingen – - Herr Baumann, am 17. Juni könnte die IAAF ein Zeichen gegen Betrug im Sport setzen und die russischen Leichtathleten für die Olympischen Spiele sperren. Wird das passieren?
Die Gemengelage im Sport ist doch so: Man braucht immer irgendeinen Ausgleich, vor allem IOC-Präsident Thomas Bach ist kein Haudrauf-Typ. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir zwar russische Sportler in Rio sehen werden, aber vermutlich keine Leichtathleten. Das Tor in diese Richtung ist doch schon lange auf, und das wäre auch eine diplomatische Entscheidung, die Thomas Bach seinem russischen Freund Wladimir Putin gut verkaufen könnte.
Würden Sie auch so entscheiden?
Selbstverständlich nicht, ich hätte allerdings auch, ehrlich gesagt, keine schnelle oder einfache Lösung. Und erst recht keine zufriedenstellende. Dafür steckt der Sport derzeit weltweit viel zu tief im Schlamassel.
Stehen die russischen Athleten zurecht am Pranger?
Nein. Die Athleten gehören dort nicht hin.
Warum nicht?
Weil sie im russischen System des Staatsdopings keine Möglichkeit haben, nicht mitzumachen. Sonst sind sie draußen. Ohne Förderung. Ohne Wettkämpfe. Der Druck auf die Athleten in einem Land mit einer Staatsform wie in Russland ist enorm groß. Sie sind das schwächste Glied.
Dann steht der russische Sport zurecht am Pranger?
Absolut, wenn man zugrunde legt, welche Informationen wir derzeit haben. Wenn es stimmt, dass bei den Winterspielen 2014 in Sotschi sogar der russische Geheimdienst an der Manipulation von Dopingproben beteiligt war, ist das doch Wahnsinn. Zumal ich mir nicht vorstellen kann, dass nicht auch Politiker bis hinauf in höchste Regierungsämter darüber informiert waren. Deshalb gehören der russische Sport und seine Organisation im Hintergrund an den Pranger.
Und auch noch andere Länder?
Wir dürfen uns doch nicht der Illusion hingeben, dass nur in Russland gedopt und betrogen wird. Es gibt auf dieser Welt viele Staaten, die das Sportsystem komplett überwachen. Überall dort sehe ich kaum einen Ansatz von effektiven Kontrollen. Aber auch in den sogenannten offenen Gesellschaften tun wir uns mit der Dopingbekämpfung sehr schwer. Ganz offensichtlich ist es überhaupt kein Problem, Dopingtests zu manipulieren – in jede Richtung. Denn wenn ich eine Probe negativ machen kann, kann ich sie auch positiv machen. Das wird selbstverständlich auch gemacht, wenn es dem eigenen Land hilft. Und das sicher nicht nur in Russland.
Wie anfällig ist der Sport für Korruption?
Sehr, sehr anfällig – und das betrifft nicht nur die Vergabe von Großveranstaltungen. Korruption hat den Sport in jeder Ebene komplett durchdrungen, eben auch im Kampf gegen Doping. Aus meiner Sicht hat sich der Anti-Doping-Kampf in seiner jetzigen Form erledigt. Weil man keinem Ergebnis mehr glauben kann.
Das unzulängliche Kontrollsystem ist die eine Seite. Auf der anderen Seite steht ein Sport, in dem man als Athlet in vielen Disziplin nur noch gedopt erfolgreich sein kann.
Natürlich hat der Sport ein riesengroßes Dopingproblem. Es wäre Unsinn, etwas anderes zu behaupten.