Der schwedische Stabhochspringer bricht den Uralt-Freiluftweltrekord von Sergej Bubka – und keiner weiß, wo seine Grenze liegt.

Rom - Armand Duplantis ist der Überflieger seines Sports, und doch steht der Stabhochspringer, sofern er sich nicht gerade durch die Luft katapultiert, mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Er gilt als Familienmensch, sympathisch, freundlich, redegewandt. Keiner, der abhebt oder gar in anderen Sphären schwebt. Und doch weiß er, wie es sich anfühlt – auf Wolke sieben. Er hat es erlebt. Am Donnerstagabend, in Rom. „Ich bin auf der Matte gelandet, aber ich bin nicht wirklich auf die Erde zurückgefallen“, sagte der 20-Jährige nach seinem jüngsten Coup. „Es ist surreal, super verrückt. Ich glaube, ich bin gerade noch irgendwo da oben.“

 

Im Leichtathletik-Himmel.

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Weltrekordhalter war Duplantis schon vorher, Mitte Februar sprang er in Glasgow in der Halle über 6,18 Meter. Weil der Leichtathletik-Weltverband in technischen Disziplinen nicht mehr unterscheidet, ob Bestmarken draußen oder drinnen aufgestellt werden, ist er seither die absolute Nummer eins. Und doch nervten ihn die Fragen – nach Sergej Bubka. Der Ukrainer hatte in den 80er- und 90er-Jahren den Rekord Zentimeter um Zentimeter verbessert und dafür reichlich Prämien kassiert. Die 6,14 Meter, die er am 31. Juli 1994 in Sestriere überquerte, blieben unter freiem Himmel unerreicht. Bis Duplantis kam. Bei der Golden Gala in Rom schaffte der Schwede im zweiten Versuch 6,15 Meter, und danach fühlte er sich ziemlich erleichtert. „Diese Marke war eine Last auf meinen Schultern“, meinte er, „klar, ich hatte den Weltrekord bereits, aber ich wollte alles klar machen und auch im Freien der Beste sein.“ Das ist eindrucksvoll gelungen. Und war doch nur eine Frage der Zeit.

Mit dem Besenstil aufs Sofa

Generell sollte man im Sport vorsichtig sein, in Superlativen zu schwelgen. Zu oft schon erwiesen sich diese als trügerisch. Doch wenn auf jemanden das Wort Wunderkind passt, dann auf Armand Duplantis.

Schon mit vier Jahren sprang der Sohn einer Schwedin und eines US-Amerikaners mit dem Besenstil aufs Wohnzimmersofa. Sein Vater Greg, selbst ein Weltklasse-Stabhochspringer, baute ihm im Garten eine Anlage, und Armand Duplantis probierte sich aus. Jahr für Jahr verbesserte er die Weltbestleistungen in seiner jeweiligen Altersklasse, mit sieben Jahren überquerte er 2,23 Meter, mit zwölf Jahren schon 3,97 Meter. Am 12. August 2018 meisterte der Teenager – damals noch 18 Jahre alt – erstmals die magische Sechs-Meter-Marke: Mit 6,05 Metern schnappte er der Konkurrenz bei der Europameisterschaft im Berliner Olympiastadion Gold weg. Und jetzt, mit gerade mal 20 Jahren, ist er bereits der Stärkste, den es je gab. „Ich wollte immer der Allerbeste sein“, sagt er, „ich wusste, dass ich das Potenzial dazu habe.“

Wie mit dem Autopilot

Duplantis, der den Spitznamen „Mondo“ (Welt) trägt, lebt von der Schnelligkeit im Anlauf, aber auch von einer überragenden Technik. Und natürlich von seinem sensationellen Fluggefühl. „Im Sprung übernimmt mein Körper“, sagt er, „das fühlt sich an, als ob ich im Autopilot-Modus bin.“ Gelandet? Ist der Regent der Lüfte zuletzt immer ganz oben auf dem Podest.

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Der Schwede ist in diesem Jahr in der Halle und im Freien bei 15 Wettbewerben angetreten – und hat alle gewonnen, zehn davon mit Höhen jenseits der sechs Meter. Vor dem Meeting in Rom hatte er schon in Monaco, Stockholm, Lausanne, Brüssel und Berlin den neuen Freiluft-Weltrekord auflegen lassen. Es ist eine unglaubliche Serie, die auch Sergej Bubka (56) beeindruckt. „Gratulation dazu, meinen Rekord gebrochen zu haben. Ein fantastisches Resultat!“, twitterte der Altmeister, „für die Leichtathletik und den Sport im Allgemeinen ist es ein Glücksfall, dass wir für die nächsten Jahre so einen hellen Stern haben.“ Wobei noch längst nicht absehbar ist, wo der Horizont von Duplantis einmal enden könnte.

Wohin führt der Höhenflug?

Er selbst sagt, er wolle alles gewinnen – Olympia-Gold, WM-Titel, die wichtigsten Meetings. Und es gibt niemanden, der ihm diese Erfolge nicht zutraut. Die Frage ist eher: Wohin führt der Höhenflug? „Wer gewinnen will“, antwortet Duplantis, „muss hoch springen.“ Er hätte auch sagen können: „Ich habe allerdings keine Ahnung!“

Renaud Lavillenie ist der Mann, der vor Duplantis den Stabhochsprung dominiert hat. In Rom, vor dem historischen Sprung, gab der Franzose seinem jungen Kollegen als „Aushilfscoach“ den einen oder anderen Tipp. Und meinte danach: „Er könnte sich in Form bringen, um 6,20 Meter oder 6,25 Meter zu springen. Er hat die Möglichkeiten dazu.“

Was im Umkehrschluss bedeutet, dass es nicht mehr allzu lange dauern dürfte, bis Überflieger Duplantis („Ich lebe meinen Traum“) das nächste Mal seine poetische Ader entdeckt. Auf Wolke sieben.