In Eugene im amerikanischen Bundesstaat Oregon beginnen an diesem Freitag die Leichtathletik-Weltmeisterschaften. Die deutsche Mannschaft reist geschwächt, aber nicht chancenlos an.

Die Bilder der letzten WM in Doha (Katar) möchte man nicht mehr sehen. Kollabierende Athleten bei Temperaturen über 40 Grad, die teilweise in Rollstühlen von den Wettkampfstätten weggefahren werden mussten. Teils leere Zuschauertribünen bei einer künstlichen WM. Ein konstant auf 25 Grad herabgekühltes Stadion brachte Doha immerhin die sportlich besten Titelkämpfe der WM-Geschichte. Der 300 Meter hohe Turm beim Khalifa-Stadion und der 57 Meter hohe Tower am Hayward Field im US-Bundesstaat Oregon an der amerikanischen Westküste schlagen die Brücke zwischen den beiden Weltmeisterschaften.

 

Es bleibt kuschelig warm

„Eugene wird eine andere WM als die letzte in Doha“, kündigt die Tübinger Sportmedizinerin Christina Kopp aus dem Pre-Camp des deutschen Nationalteams in Santa Barbara (Kalifornien) an. „Eugene lebt für die Leichtathletik“, weiß Kopp, die seit über zehn Jahren als DLV-Verbandsärztin deutsche Leichtathleten bei internationalen Großereignissen betreut. In Eugene liegt die Seele der US-Leichtathletik. Kopps Klima-Einschätzung: eine trockene Sommerhitze bis 30 Grad, die aber viel angenehmer ist als die feuchte Hitze in Katar. Strenge Coronavorgaben sollen Schutz liefern für die rund 1700 Athleten. Weil das DLV-Team in Stadionnähe untergebracht ist, fallen Transportwege weg. „Eine WM an diesem geschichtsträchtigen Ort für die Leichtathletik bedeutet, in der Höhle des Löwen zu sein“, sagt DLV-Chefbundestrainerin Annett Stein.

Die Vergabe nach Eugene war umstritten, da es kein übliches Bewerbungsverfahren gab und Göteborg ausmanövriert wurde. Seitens des Weltverbands will man bei den ersten Weltmeisterschaften in den USA die Vermarktungsmöglichkeiten auch mit der in Eugene gegründeten Sportartikelfirma Nike ausschöpfen.

Baden-Württemberg ist stark vertreten

Durchschnittlich sechs bis neun Medaillen holten deutsche Athleten zwischen 1983 und 2019 bei Weltmeisterschaften. Allein 1987 in Rom gab es nur dreimal Edelmetall. Medaillenhoffnungen sind allein die Weitspringerin Malaika Mihambo, die Diskuswerferin Kristin Pudenz, der Speerwerfer Julian Weber, der Stabhochspringer Bo Kanda Lita Baehre und vielleicht eine Sprint-Staffel. Der Ausfall des Ex-Speerwurf-Weltmeisters Johannes Vetter ist nicht zu ersetzen.

Zusammen mit der Titelkandidatin Malaika Mihambo starten gleich 15 Baden-Württemberger im DLV-Trikot. Aussichtsreich auch im Medaillenkampf ist der Speerwurf-Vizeeuropameister Andreas Hofmann (Mannheim), Hanna Klein (Tübingen) müsste über sich hinauswachsen, um ins 1500-Meter-Finale zu gelangen. Der Zehnkämpfer Leo Neugebauer (Leinfelden-Echterdingen), 21-jähriger Shootingstar, geht als deutscher Jahresbester vor dem Weltmeister Niklas Kaul als Neunter der Weltbestenliste ins Rennen um die Medaillen.

Infos zum Austragungsort

Westküstennest
 Der Nabel der Leichtathletik-Welt liegt zehn Tage lang am Ende der realen Erde. Zumindest wirkt Eugene/Oregon auf den ersten Blick so. Das Westküsten-Nest ist bis zum 24. Juli Schauplatz der ersten WM im Lande der größten Leichtathletik-Nation der Welt. Einen knappen Monat vor den Europameisterschaften in München wirkt diese aber ein wenig wie eine Vorveranstaltung.

Vergabestreit
 Dass die WM aber überhaupt in Eugene – mit 170 000 Einwohnern der mit Abstand kleinste Austragungsort in der seit 1983 währenden Geschichte der Weltmeisterschaften – gelandet ist, beschäftigt bis heute die Strafermittler. Eugene ist Gründungsort des weltmächtigsten Sportartikelherstellers – Nike. Der soll mitverantwortlich dafür gewesen sein, dass die WM im Frühjahr 2015 überraschend nach Oregon vergeben wurde. Überraschend deshalb, weil die Titelkämpfe vom Weltverband, der damals noch IAAF hieß, nicht einmal ausgeschrieben worden waren.

Klärungsversuche
Der heutige Weltverbandschef Sebastian Coe war damals Vizepräsident der IAAF und zudem Nike-Repräsentant. Mails legen nahe, dass der Brite sehr wohl bei der Vergabe zugunsten seines Neben-Arbeitgebers tätig wurde. Coe verbat sich aber jeden Vorwurf. Der damalige IAAF-Präsident Lamine Diack kann den Fall nicht mehr aufklären – der Senegalese starb 2021.