Extrembedingungen bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Doha. In der Hitze kollabierende Läufer und Geher lassen die Titelkämpfe in der Wüste zur Farce werden.

Doha - Ein flaues Gefühl in der Magengegend ist Alina Reh auch am Tag danach geblieben. Ansonsten ist die junge Läuferin von der Schwäbischen Alb aber wieder einigermaßen wohlauf. Mit plötzlichen Krämpfen war sie am Abend vorher darnieder gesunken und musste ihr Weltmeisterschaftsrennen über 10 000 Meter bereits nach etwas mehr als der Hälfte aufgeben. Im Rollstuhl wurde sie in die Katakomben geführt. Wie das passieren konnte? Die Hitze habe sie nicht beeinträchtigt, es sei im Stadion „angenehm“ gewesen, sagt die 23-Jährige. „Ich glaube, es lag eher am Wechsel von heiß zu kalt.“

 

Ein mit Hochdruck klimatisiertes Khalifa-Stadion, subtropisches Klima außerhalb – es sind Extrembedingungen bei diesen Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Doha, die nicht nur Alina Reh in die Knie zwingen. Sie war nicht die Erste, die vor den Augen der Weltöffentlichkeit vorübergehend im Rollstuhl landete; und es steht zu befürchten, dass sie auch nicht die Letzte bleiben wird.

Groß waren schon lange im Vorfeld der WM die Bedenken, ob die Wüste ein geeigneter Ort für die Welttitelkämpfe der Läufer, Springer und Werfer ist. Jetzt scheint alles noch schlimmer zu kommen.

Die groteske Rollstuhl-WM in der Hitze von Doha ist in vollem Gange.

Aus der Tiefe der Hölle

Auf Mitternacht hatten die Organisatoren aufgrund der Tagestemperaturen von mehr als 40 Grad die Langstreckenwettbewerbe außerhalb des Stadions gelegt. Was rein gar nichts daran änderte, dass gleich der Frauenmarathon am Eröffnungstag zur Farce wurde. Von 68 Starterinnen erreichten nur 40 das Ziel, die ersten kollabierten schon nach 15 Kilometern. In der Hobbyläuferzeit von 3:10:30 Stunden quälte sich die für Palästina startende Mayada Al Sayad aus Berlin über die Ziellinie – und war fix und fertig: „Es war schrecklich. Mein Herz hat gerast, ich habe mich noch nie so schlecht gefühlt.“

Nur unwesentlich besser erging es der neuen Weltmeisterin. Noch 20 Minuten nach dem Rennen benötigte die Kenianerin Ruth Chepngetich beim Siegerinterview an der achtspurigen Uferstraße stützende Hände, sonst wäre sie umgekippt. Zur Goldmedaille hatten ihr 2:32:43 Stunden gereicht, die langsamste Zeit der WM-Geschichte.

Wenn hätte es also wundern können, dass auch die Wettbewerbe über 50 Kilometer Gehen in der Nacht darauf für die Athleten zur qualvollen Grenzerfahrung wurden? „Ich komme aus der Tiefe der Hölle“, keuchte der kanadische Bronzemedaillengewinner Evan Dundee. Als „Versuchskaninchen“ fühlte sich Titelverteidiger und Weltrekordler Yohann Diniz: „Sie haben aus uns Meerschweinchen gemacht. Sie haben uns da draußen in einen Backofen geschoben.“ Da draußen – das war die Strecke entlang des Persischen Golfs, an der zwar keine Zuschauer standen, die Temperaturen und vor allem die Luftfeuchtigkeit aber auch noch morgens um zwei kaum erträglich waren.

Tortur bei über 40 Grad

Mit seiner Aufgabe nach nicht einmal 20 Kilometern erlöste sich der Diniz selbst von seinen Leiden – weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Nur im Zielraum saßen einige Scheichs und Funktionsträger auf der klimatisierten Tribüne – und klatschten wie einst Kaiser Commodus bei den Gladiatorenkämpfe im Alten Rom artig Beifall, als Yusuke Suzuki um 3.34 Uhr die Tortur nach 4:04:20 Stunden als Erster beendete. Fast hätte es der Japaner geschafft, nur eine halbe Stunde langsamer zu sein als Yohann Diniz bei seinem Weltrekord (3:32:33 Stunden). „Ich glaube, dass man noch in mehreren Jahrzehnten über diesen Wettkampf sprechen wird“, sagte der Baden-Badener Carl Dohmann, der sich mit unbeugsamem Willen als starker Siebter ins Ziel rettete.

Und so mehrt sich die Kritik daran, diese Weltmeisterschaften vor fünf Jahren nicht nach Barcelona oder Eugene vergeben zu haben, sondern in die Wüste. „Jeder kann sehen, dass dies hier ein Desaster ist“, schimpft Frankreichs Zehnkampf-Weltrekordler Kevin Mayer: „Die Tribünen sind leer, und die Hitze hat man überhaupt nicht in den Griff bekommen.“

Auch deshalb will Alina Reh nur eines: möglichst schnell weg aus Doha, möglichst schnell zurück auf die raue Alb. „Vom Kopf her ist es jetzt schwierig“, sagt sie, „ich brauche sicher noch eine Weile, um das alles für mich zu sortieren.“