In den freundlichen neuen Räumen der Artothek in Filderstadt-Sielmingen können Interessierte seit drei Monaten Kunstwerke ausleihen. Ein versiertes Team würde den Kunden drei Mal pro Woche Kunstberatung anbieten – wenn die Kunden denn kämen.

Filderstadt - Hier ist echt was los: Tenniselfen tanzen auf Rasen, der aus einem Sportwagen sprießt, ein Häuschen trotzt dem Sturm, und ein Fisch schwimmt zwischen Schneeflocken. Man könnte sich an diesem sympathischen Ort in der Sielminger Hauptstraße 46 auch außerhalb der Bilderrahmen die tollsten Geschichten vorstellen: Zum Beispiel, dass kurz vor 19 Uhr Linda und Max, im besten Fall frisch verliebt, etwas außer Atem in die Filderstädter Artothek stürmen. Max könnte sich für diesen farbenfrohen Druck begeistern, der hinten aus dem Regal lugt: „Lucky Strike“ von Keith Haring. „Wenn du das mitnimmst, verlasse ich dich!“, könnte Linda drohen. Und Edina Tallai, deren Anwesenheit etwas sehr Inspirierendes verströmt, könnte schlichten.

 

Edina Tallai, die Empfangs- und Bürodame der Artothek, sagt, dass manchmal nette alte Damen kämen, um auf dem grauen und auf dem grünen Sofa unter der großformatigen Vogelabstraktion ein Schwätzchen zu halten. Manchmal würden Leute auch lieber in der Artothek auf den Bus warten, als draußen in der Kälte. Aber an diesem Freitagnachmittag kommt niemand. Keiner nimmt die vieldeutig verschmolzene Bronzeplastik namens „Sappho“ von Alfred Hrdlicka in Augenschein; keiner lässt sich vom fiesen Blick der feinen Dame in Wolfgang Herzigs „Speisezimmerbild“ erschrecken. Und Hency Arevalo-Silva, der Artothekar, kann seine Kunstberatertätigkeit gar nicht erst aufnehmen: „Wenn das Büro weiß ist, würde ich zu einem Gemälde mit vielen Farben raten“, sagt er, der „guten Energie“ wegen. Für manche Kunden sei, wenn sie nach einem Jahr ein ausgeliehenes Kunstwerk zurückgeben und nach einem neuen suchen, allerdings vor allem das gleiche Format entscheidend.

Knallrote Epoxy-Lippen und großformatige Ölgemälde

Sie würden fündig werden, wenn sie denn kämen. Vor drei Monaten ist die städtische Artothek aus einem Keller in die freundlichen Räume eines ehemaligen Supermarktes umgezogen: Für eine Jahresgebühr von 60 Euro können dort Kunstfreunde oder Firmen bis zu fünf Werke gleichzeitig aus dem 2000 Arbeitenden umfassenden Bestand entleihen. Ungefähr 10 bis 15 Interessierte würden pro Woche die Artothek besuchen, sagt Edina Tallai. „Leute, die Spaß daran haben, etwas auszuprobieren“, seien das, erzählt Ina Penßler, die Leiterin des städtischen Kunstbüros. Ein Paar von der Schwäbischen Alb komme regelmäßig vorbei und fahre mit zehn Bildern wieder weg: „Die müssen ein sehr großes Haus haben.“

Die „Kisses“ betitelten knallroten Epoxy-Lippen der Stuttgarter Künstlerin Rosalie würden auch in ein kleines Badezimmer passen. Die großformatigen Ölgemälde, die anhand ausgelaugter Gesichter das harte Bauernleben anno dazumal in Bernhausen zeigen, brauchen hingegen Platz, klar. Vom Format her irgendwo dazwischen liegen die Kupferstiche von Johann Gotthard Müller, datiert von 1793: „Die Stadt Filderstadt sperrt sie nicht in den Tresor, sondern verleiht sie“, sagt Ina Penßler, die gerne bekennt, dass bei ihrer persönlichen Wandgestaltung diverse ästhetische Kriterien konkurrieren: „Ich mag zuhause kein Braun. Selbst wenn mir ein Bild gefällt: Bei diesem Rahmen – nein!“

Auf dieser Kunst könnte man auch trommeln

Städtische Bedienstete gehören zu den Hauptnutzern des Artothek-Bestandes, der größtenteils in den Achtzigerjahren angekauft worden ist, als unter dem Ministerpräsidenten Lothar Späth das Kunstgeld stetig floss. Viele lokale und regionale Künstler wurden unterstützt, Siebdrucke wurden als Dauerleihgaben beigesteuert, aber auch einiges Internationales, etwa Monochromes des spanischen Malers Eduardo Arroyo, wurde inzwischen alphabetisch in die Regale der Artothek einsortiert. Auf ihnen thronen im Zentrum der Artothek zwei knallbunte Kuben, die sich auch als Trommeln nutzen lassen, wobei sicherheitshalber zu prüfen wäre, wie im ungestümen Schadensfall die private Haftpflichtversicherung reagiert, zu der Ina Penßler vor der Ausleihe rät.

Hency Arevalo-Silva rät indes zur Raum-Kunst-Balance, während er weiter am Katalog arbeitet. Ein Paar mittleren Alters würde sich unterdessen gerne mal umschauen, hat aber das Handy samt Impfnachweis zu Hause vergessen und darf deshalb nicht bleiben.

Paare seien sich bei der Kunstauswahl meistens einig, sagt Edina Tallai.

Die Artothek in Filderstadt-Sielmingen, Sielminger Hauptstraße 46, hat donnerstags und freitags von 15 bis 19 Uhr und samstags von 10 bis 14 Uhr geöffnet.