Zu beachten gilt es bei allem Stolz auf den neuen Titel indes auch, dass er nicht nur Prestige, sondern auch Verpflichtung bedeutet. So liegt eine gewisse Ironie darin, dass in Stuttgart derzeit der ungebremste Abrissfuror neue Rekorde aufstellt, sagt Architekturkritikerin Amber Sayah.

Stuttgart - Hurra, Stuttgart steht auf der Welterbeliste! Im dritten Anlauf und nach acht Jahren hat es der gemeinsame Antrag Frankreichs, Belgiens, der Schweiz, Japans, Argentiniens, Indiens und Deutschlands, Le Corbusiers Werk durch einen Welterbetitel zu adeln, endlich geschafft. Am Sonntag nahm das Unesco-Komitee in Istanbul die gemeinsame Bewerbung dieser sieben Länder an: Insgesamt 17 Bauten des Architekten auf drei Kontinenten stehen wegen ihres universellen Werts unter Welterbeschutz, darunter – als einzige Gebäude von Le Corbusier in Deutschland – die beiden Wohnhäuser in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung.

 

Die Stadt hat darum allen Grund zur Freude über dieses glorreiche Prädikat, durch das Le Corbusier, einer der einflussreichsten Architekten des 20. Jahrhunderts, den ihm gebührenden Platz im Verzeichnis der bedeutendsten Kulturdenkmäler erhält. Nicht zuletzt, weil der Antrag mit maßgeblicher Beteiligung aus Stuttgart und Bern nun so formuliert werden konnte, dass er nach zwei abgeschmetterten Versuchen 2008 und 2011 Gnade vor den Augen des gestrengen Welterbekomitees fand. Auch für den Zustand der Weißenhof-Häuser gaben die Denkmalpfleger gute Noten.

Welterbe ist aber nicht die Weißenhofsiedlung

Und schließlich kann man sich in Stuttgart auf die Schulter klopfen, weil man an einer Pionierleistung mitgewirkt hat. Denn erstmals ist einem „transnationalen seriellen Welterbeantrag“ stattgegeben worden. Bisher hatten die Denkmalexperten ausschließlich Einzelbauten oder -komplexe anerkannt. Die sieben Länder gehen darum durch ihre Zusammenarbeit mit gutem Beispiel voran, wie solche Kollektivbewerbungen zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden können. In Zeiten nationalistischer Blähungen setzt diese konzertierte Aktion wie nebenbei auch ein Zeichen, dass man mit Weltoffenheit und Gemeinschaftsgeist weiter kommt als mit borniertem Leitkulturgeschwätz.

Wohlgemerkt, Welterbe ist nicht die Weißenhofsiedlung. Der Titel gilt nur für die dortigen Corbusier-Häuser. Dass sich Stuttgart das Ruhmesblatt mit anderen Stätten „teilen“ muss, schmälert dessen Wert aber keineswegs. Im Gegenteil. Im Alleingang hätte die Stadt keine Chance gehabt. Als Einzelbauwerke sind Le Corbusiers Häuser auf dem Weißenhof nicht gewichtig genug, ihre Schlüsselstellung nehmen sie erst im Kontext des Gesamtwerks ein. Die Weißenhofsiedlung andererseits würde als Ensemble nie zu Welterbe-Ehren gelangen, denn obwohl sie als eine Art Freiluftlabor entstand, in dem nahezu die gesamte Avantgarde des Neuen Bauens ihre Ideen über das moderne großstädtische Wohnen ausprobierte, hat sie durch Kriegszerstörungen und banale Nachkriegsbauten zu viel Substanz eingebüßt, um noch als Anwärter infrage zu kommen.

Die Zahl der Architekturpilger wird wachsen

Und was bringt das Welterbewappen nun? Ruhm, Ehre und Marketingvorteile, klar: Die Zahl der Architekturpilger auf den Spuren von Sankt Corbusier wird zweifellos wachsen. Stuttgart kann sein Ansehen als Stadt, die sich schon früh der Architekturmoderne zugewandt hat, in aller Welt mehren. Und zum Glück ist das größere der beiden Häuser in weiser Voraussicht schon vor einigen Jahren als Museum der Weißenhofsiedlung eingerichtet worden. Zu beachten gilt es bei allem Stolz auf den neuen Titel indes auch, dass er nicht nur Prestige, sondern auch Verpflichtung bedeutet. So liegt eine gewisse Ironie darin, dass Stuttgart gerade in dem Moment des Unesco-Segens teilhaftig wird, in dem der ungebremste Abrissfuror in der Stadt neue Rekorde aufstellt. Aber ein einsames Welterbe-Inselchen in einem Ozean gesichts- und geschichtsloser Investorenbauten, das kann nicht im Sinne des Erfinders sein.