43 Kinder zwischen sieben und zehn Jahren nehmen in der Ballettschule Evi Ritter an einer Prüfung durch die „Royal Academy of Dance“ teil.

Leonberg - „The pretzel was lovely! Thank you so much!“ Victoria Allport bedankt sich während ihrer Mittagspause im Ballettsaal der Ballettschule Evi Ritter herzlich bei deren Chefin, Anita Düster, für das schwäbische Laugengebäck. Die erfahrene Tanzpädagogin aus Brighton ist zum ersten Mal in Deutschland. Zwei Wochen lang wird sie hier Prüfungen der Royal Academy of Dance (RAD) durchführen. Prüfungen, die überall auf der Welt gleich aussehen. Leonberg ist ihre erste Station. Und die Ballettschule Evi Ritter ist im Großraum Stuttgart die einzige, die solche Prüfungen – seit 1978 – anbietet.

 

Während Mrs. Allport im Ballettsaal einen Kaffee genießt, bereiten sich im Eingangsbereich und den Umkleiden die nächsten Prüflinge vor. Einige paradieren vergnügt und ein bisschen aufgedreht im Foyer auf und ab. Ein Mädchen spielt mit seinem Vater Schnick-Schnack-Schnuck. Und zwei, drei Mütter sind damit beschäftigt, die Haare ihrer Töchter in einen ordentlichen Dutt zu drehen und festzustecken.

Pure Ästhetik

Unordentliches Haar hat bei der Prüfung ebenso wenig verloren wie Ohrstecker oder Unterwäsche, die sich unschön unter dem Trikot abzeichnen würde. Ballett hat viel mit Ästhetik zu tun. Wo nötig, hilft Anita Düster mit ihrer geübten Hand und einem Quäntchen Haarspray oder Gel nach. „Nicht auf den Boden schauen und gut auf die Musik hören“, gibt sie der neunjährigen Paula mit auf den Weg, nachdem sie ihr und Viktoria eine Nummer ans rosa Trikot geheftet hat: Mrs. Allport soll die Leistungen problemlos zuordnen und notieren können.

Am frühen Abend dieses Samstags wird die Prüferin, eine von rund 200 der RAD, die tänzerischen Fähigkeiten von 43 Mädchen begutachtet haben. Die sind je nach Alter und Tanzerfahrung in unterschiedliche „grades“ mit unterschiedlichen Anforderungen eingestuft. Mrs. Allport ist mit den Prüflingen - meist Vierergruppen – alleine im Saal. Niemand darf zuschauen. Auch nicht die Leiterin der Ballettschule.

Die Tänzerinnen sollen sich ganz auf sich und ihre Aufgaben konzentrieren können. „Demi-plié, arms to demi-secondes and bras bas“ – dieser französisch-englische Kauderwelsch ist den Mädchen geläufig. Sie wissen, was von ihnen erwartet wird, wenn „walks“, „transfer of weight“, also Gewichtsverlagerung, oder „galops“ gefragt sind. Und sie kennen die Musik zu den Übungen, die seit zwei, drei Jahren nicht mehr aus dem Klavier tönt, sondern aus der Konserve.

Aufwand und Bestätigung zugleich

Zwei Mal im Jahr hat Anita Düster Besuch von einem Prüfer der Royal Academy. Für sie bedeuten diese Tage zwar viel Aufwand, vor allem aber sind sie Bestätigung ihrer Arbeit. Denn die Academy, erzählt sie, sei vor fast 100 Jahren begründet worden, um die Qualität des Ballettunterrichts zu fördern. Schließlich sei ihr Beruf nicht geschützt, jeder könne eine Tanzschule aufmachen. Doch sie und ihre Dozenten müssen regelmäßig Fortbildungen besuchen, um den gewünscht hohen und RAD-geprüften Standard einer guten Tanzausbildung zu gewährleisten.

Wahrscheinlich werden auch diesmal so gut wie alle Mädchen eine Urkunde, Medaille und einen positiven Bericht über ihre Leistungen bekommen. Die Leonberger Ballettlehrerin Anita Düster achtet darauf, nur jene anzumelden, die es auch schaffen können. 75 von 100 möglichen Punkten bedeuten nämlich eine Goldmedaille. In einigen Wochen erst kommen die Ergebnisse. Ob die Mädchen von mehr als nur Gold träumen? Vielleicht vom Leben als Primaballerina?

„Nein!“, sagt die siebenjährige Mia wie aus der Pistole geschossen. „Keine Ahnung!“ sagt Viktoria, die erst seit einem Jahr tanzt. Nur Paula sagt nichts. Aber sie strahlt bei der Frage übers ganze Gesicht. Der Mädchentraum vom Leben als fleischgewordener Symbiose aus Kunst, Ästhetik und Hochleistungssport ist in ihren leuchtenden Augen zu sehen.