Zur gleichen Zeit wie Christian Wagner lebte in Warmbronn ein Pfarrerssohn, der nach dem Abitur in Stuttgart das Dorf verließ, um zu studieren und später in der Landeshauptstadt eine große Karriere zu machen. Es war Edmund Rau.

Leonberg - Zur gleichen Zeit wie Christian Wagner lebte in Warmbronn ein Pfarrerssohn, der nach dem Abitur in Stuttgart das Dorf verließ, um zu studieren und später in der Landeshauptstadt eine große Karriere zu machen. Es war Edmund Rau, der vergessene Staatspräsident.

 

Nachdem 1873 der Pfarrer Christoph Friedrich Wild in Ruhestand gegangen war, suchte Dekan Lamparter für die Warmbronner Pfarrstelle „einen geisteskräftigen, eifrigen und muthigen Pfarrer wegen schlimmer Elemente in Warmbronn“, denn der Ortspolizei fehle die nötige Energie. Dieser Mann wurde in Karl Gottlieb David Rau gefunden.

Pfarrer Rau und seine Frau Maria Sophie, eine Pfarrerstochter, kamen von Dobel. Das Ehepaar hatte zehn Kinder, wovon allerdings 1873 nur noch sechs lebten. Genug jedoch, um das Warmbronner Pfarrhaus mit lebhaftem Trubel zu erfüllen. Eine Tante der Kinder war Luise Rau, die von 1829 - 1833 die Verlobte des Dichters Eduard Mörike gewesen war und in seinen Liebesbriefen verewigt ist.

Das Jüngste der sechs Kinder, der 1868 geborene Edmund, sollte es später noch weit bringen. Er war gerade mal fünf Jahre alt als die Familie nach Warmbronn zog und erst fünfzehn als der Vater starb. Der Vater, dessen Fähigkeiten von Dekan und Kirchengemeinde sehr geschätzt wurden, war mit Sicherheit sein Vorbild. Von ihm, Karl Gottlieb Rau selbst, erfahren wir, dass er alle Schriften der Lesegesellschaft und alle anderen, deren er habhaft werden konnte, verschlang und die von ihm verfassten Predigten jeweils frei vortrug.

Edmund besuchte zunächst die Volksschule in Warmbronn und dann das Karlsgymnasium in Stuttgart. Zu dieser Zeit gab es im Flecken keine „schlimmen Elemente“ mehr, was vielleicht auf das Wirken von Pfarrer Rau zurückzuführen war. Jedenfalls stellte der Kirchengemeinderat seinerzeit fest, dass nicht nur der Kirchenbesuch befriedigend, sondern auch der Wirtshausbesuch nur mäßig und das Familienleben – mit wenigen Ausnahmen – friedlich sei. Sogar über die ledige Jugend sei gegenwärtig nicht zu klagen.

Nach dem Tode des Vaters machte Edmund Rau 1887 Abitur in Stuttgart. Allerdings schlug er dann nicht die theologische Laufbahn ein sondern studierte von 1887 bis 1891 Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in Tübingen. Dort schloss er sich der Studentenverbindung Ghibellinia an. Wie der Name sagt, fühlten sich diese Studiosi den Waiblingern – also den Staufern verbunden – was auf eine staatstreue Linie der Verbindung schließen lässt. Die Staatslaufbahn war es dann auch, die Rau nach dem Studium wählte. Er fing 1893 als Referendar bei der Stadt Stuttgart an und brachte es schnell zum Amtmann. 1897 heiratete er mit 29 Jahren Mathilde Kühner. Das Ehepaar zog vier Töchter groß, ein Junge verstarb bereits im Alter von wenigen Monaten. Bald nach seiner Heirat wechselte Edmund Rau 1900 ins Innenministerium, wo er 1907 Kanzleidirektor wurde nachdem er zuvor Oberamtmann in Tettnang gewesen war.

Im Ersten Weltkrieg war er zwei Jahre lang als Hauptmann der Landwehr im Einsatz und wurde dann nach Stuttgart zurückgerufen, und zwar ins Staatsministerium. Noch kurz vor Toresschluss, am 6. November 1918 ernannte König Wilhelm II den 50-Jährigen zum Staatsrat. Hatte Edmund Rau im Königreich Württemberg eine untadelige Karriere hingelegt, so endete diese keineswegs mit dem kurz darauf folgenden politischen Umsturz. Auch das demokratisch verfasste Land Württemberg war auf fähige und treue Staatsdiener angewiesen.

Die Nachkriegsjahre mit ihrer desolaten Ernährungslage stellten das junge, demokratische Land vor ein große Bewährungsprobe. Um des Mangels Herr zu werden, wurde das Ernährungsministerium gegründet. Hier wirkte Rau mit großem Talent und Fleiß und wurde schließlich als Nachfolger von Wilhelm Keil selbst Ernährungsminister. Und das Arbeitsministerium erhielt er gleich noch dazu.

Doch damit nicht genug: Als im Jahr 1924 der Staatspräsident Johannes Hieber im Streit um die Verwaltungsreform zurücktrat, wurde der parteilose Edmund Rau am 8. April württembergischer Staatspräsident. Und er bekam zusätzlich auch noch das Kultusministerium aufgeladen. Alles bewältigte er mit Bravour. Dann aber kam es am 10. Juni zur regulären Wahl, und dabei spielten nicht Einsatz und Tüchtigkeit eine Rolle, sondern parteipolitische Erwägungen.

Die Deutschnationalen setzten allerdings ihren Kandidaten Wilhelm Bazille durch und Edmund Rau hatte ins Glied zurückzutreten. „Der Mohr hatte als Staatspräsident seine Schuldigkeit getan, der Mohr musste nun abtreten“, wie Wilhelm Keil später in seinen Memoiren bitter vermerkte. Allerdings muss auch gesagt werden, dass Rau kein Mann war, der sich nach vorne drängte, und es ist nicht bekannt, ob er das hohe Amt überhaupt auf Dauer ausüben wollte. In der dritten Sitzung des neuen Landtags sprach der Präsident dann das aus, was viele dachten: Rau habe sich „in vorbildlicher, opferbereiter Weise in den beiden letzten Monaten dem Lande als Staatspräsident zur Verfügung gestellt und dadurch an einer Entspannung der politischen Lage mitgewirkt, wofür ihm das ganze Land Dank schuldet“.

Rau wurde wieder zum Ministerialdirektor degradiert und arbeitete trotzdem loyal weiter. Von 1925 an war er Vorsitzender der Zentralstelle für Wohltätigkeit in Württemberg. 1930 verlieh ihm die Universität Tübingen den Dr. honoris causa. Von 1930 bis 1933 war er Präsident des Württembergischen Verwaltungsgerichtshofs. Aus diesem Amt wurde er am 31. März 1933 aus politischen Gründen zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Der prinzipientreue Beamte passte den Nationalsozialisten und deren Reichsstatthalter Wilhelm Murr überhaupt nicht.

Öffentlich ist Edmund Rau seit dem Jahr 1933 nicht wieder hervorgetreten. Seinen Ruhestand widmete er der Familie, der Zentralleitung für Wohltätigkeit und seinen Aufgaben als Synodaler in der evangelischen Landeskirche. Beim Aufbau der Landeskirche nach dem Krieg half er tatkräftig mit und war von 1946 bis 1948 noch Präsident des Landeskirchentages. Dann zog er sich endgültig zurück und starb weitgehend unbeachtet am 4. Mai 1953 in Stuttgart, wo er auf dem Fangelsbachfriedhof begraben wurde.

Seinen schönen Grabstein hat die Stadtverwaltung Stuttgart leider abräumen lassen und momentan bemüht sich der Landeshistoriker Gerhard Raff, diese Sünde durch Errichtung eines neuen Steins wieder gut zu machen. Das hätte der in Warmbronn aufgewachsene, kurzzeitige Staatspräsident Edmund Rau sich auch verdient, von dem die Stuttgarter Zeitung seinerzeit schrieb, er sei „ein aufrechter, fähiger, unbestechlicher und charaktervoller Staatsbeamter alter Prägung“ gewesen.