Das Landgericht geht davon aus, dass die 40-jährige Angeklagte ihren Ex-Freund aus Notwehr niedergestochen hat. Somit verlässt sie als freie Frau den Gerichtssaal in Stuttgart.

Leonberg - Wende im Küchenmesser-Prozess: Die wegen versuchten Totschlags angeklagte Frau aus Leonberg ist vor der 9. Schwurgerichtskammer des Stuttgarter Landgerichts frei gesprochen worden. Vieles deute zwar darauf hin, dass der Vorwurf stimme. „Aber es verbleiben große Zweifel“, erklärte der Vorsitzende Richter nach der Urteilsverkündung. Vor allem, weil sich der Geschädigte bei seiner Aussage vor Gericht nicht mehr lückenlos an den Vorfall erinnern konnte, war es für das Gericht nicht möglich, sich ein umfassendes Bild zu machen.

 

Letztendlich ging das Gericht aber davon aus, dass die Angeklagte ihren Ex-Freund im Januar aus Notwehr niedergestochen hat. Der unter Kokain stehende 33-Jährige habe bei dem zunächst verbal geführten Streit auf die Leonbergerin eingeschlagen, weshalb die Frau durch den massiven körperlichen Übergriff Angst um ihr Leben gehabt habe – damals wurden gegen ihn Ermittlungen wegen einer möglichen Körperverletzung geführt, die aber später eingestellt wurden. „Sie hatte gehandelt, um sich zu schützen und die Messerstiche waren ein geeignetes Mittel, um den Angriff abzuwenden“, befand der Richter.

Frau durfte sich mit einem Messer wehren

Laut dem Gericht durfte sich die Frau des Abwehrmittels bedienen, das sie zur Hand hatte und das eine sofortige Beseitigung der Gefahr erwarten ließ. „Das schließt auch den Einsatz lebensgefährlicher Mittel wie eines Küchenmessers ein“, betonte der Richter. Gleichwohl schloss er nicht aus, dass sich der frühere Borderliner, dem unter Einfluss von Drogen psychotische Störungen attestiert worden waren, die Stiche auch selbst beigebracht haben könnte.

Damit widersprach der Richter übrigens der rechtsmedizinischen Sachverständigen, die eine Selbstverletzung des Mannes als unwahrscheinlich erachtet hatte. Der Leonberger hatte sich damals einer Not-Operation unterziehen müssen. Einer der beiden Einstiche in die Bauchdecke hatte ihn derart verletzt, dass sich die Bauchhöhle öffnete. Lebensgefahr hatte aber nicht bestanden.

Dass die Angeklagte den Gerichtssaal als freie Frau verlassen könnte, zeichnete sich bereits bei den Plädoyers am vorletzten Prozesstag ab. Auch der Oberstaatsanwalt hatte damals große Zweifel am Vorwurf des versuchten Totschlags und einen Freispruch für die 40-Jährige gefordert. Nach sieben Monaten Untersuchungshaft wurde die Leonbergerin daraufhin auf freien Fuß gesetzt. Für die Zeit hinter Gittern wird sie nun finanziell entschädigt.

Die psychologische Sachverständige hatte bei der Frau keine Persönlichkeitsstörung festgestellt. Weiterhin schloss die Psychologin eine Tat aus, die sie aufgrund von Drogen begangen haben könnte – zumal die in dem Blut der Leonbergerin festgestellten Drogenersatzmittel eine „beruhigende“ Funktion hatten. Eine „Affekt-Handlung“, ausgelöst durch die schwierige Liebesbeziehung und die Drohung ihres Ex-Freundes, sich von ihr trennen zu wollen, hielt sie in ihrem Gutachten hingegen für denkbar.

Bis auf eine spontane Äußerung der Angeklagten, die unmittelbar nach dem Vorfall gegenüber einem Polizeibeamten erklärt hatte, dass sich ihr Ex-Freund selbst mit dem Küchenmesser verletzt hatte, machte sie in dem Verfahren keine Angaben zu den Vorwürfen. Das Gericht hatte aber bei der Urteilsverkündung darauf hingewiesen, dass man der Angeklagten ihr Schweigen nicht zur Last legen dürfe.

Immer wieder Wutausbrüche des Ex-Freundes

Allerdings ließ sich die gelernte Altenpflegehelferin die Gelegenheit nicht nehmen, um über die „schwierige Beziehung“ mit dem Mann zu sprechen. Demnach musste die 40-Jährige immer wieder seine Wutausbrüche über sich ergehen lassen – das konnten auch mehrere Zeugen, darunter ein Nachbar des einstigen Pärchens, bestätigen. Die zum Teil handfesten Streitigkeiten endeten nicht selten mit einem Polizeieinsatz. Dabei war der vorbestrafte 33-Jährige auch mehrmals mit den Beamten aneinandergeraten.

Am Ende der Verhandlung gab der Richter der Leonbergerin, die seit ihrer frühesten Jugend Drogen aller Art genommen hat, strafrechtlich allerdings bislang nicht in Erscheinung getreten war, einen guten Rat mit auf den Weg: „Sie sind eine freie Frau. Wenn Sie diesen Umstand anders nutzen als in der Vergangenheit, dann kann aus Ihrem Leben etwas werden.“