Was kommt nach dem Friedensvertrag? Menschenrechtler spricht über Versöhnungsprojekte in Kolumbien.

Leonberg - Sie haben das Volk ratlos und verunsichert zurückgelassen.“ Lácides Hernández muss es wissen, denn er lebt und wirkt mittendrin in dem Chaos in Kolumbien. Dem Chaos, das fünf Jahrzehnte Bürgerkrieg in Kolumbien und ein vom Präsidenten per Dekret und entgegen dem Volksentscheid durchgesetzten Friedensvertrag nach sich ziehen. Hernández ist Präsident von Prison Fellowship Colombia und hilft Strafgefangenen und deren Familien, aber auch den Opfern von Kriminalität. Im Leonberger Seehaus hat er von seinem Land, den Menschen darin und seiner Arbeit erzählt. Seehaus-Mitarbeiter Axel Jeroma hat selbst drei Jahre in Ecuador und Kolumbien gelebt und den gut 30 Besuchern, Freunden und Förderern des Seehauses fließend übersetzt, was Hernández so ausdruckstark berichtet.

 

Unsicherheit und Angst

Dass die Menschen verunsichert und verängstigt sind, und dass eigentlich niemand dem Frieden so recht traut, erzählt Hernández. Dass es so wichtig ist, Opfern und Tätern Perspektiven zu bieten, damit die einen angst- und wutfrei leben können und die anderen nicht zurückfallen in alte Muster der Gewalt und Kriminalität. „Wenn die Kämpfer, egal ob rechts oder links, ob Guerilla oder Paramilitärs, keine Perspektive aufgezeigt bekommen, ist die Gefahr groß, dass sie entweder wieder in ihr Bandenleben zurückfallen oder selbst getötet werden“, weiß Hernández.

Ein wichtiger Baustein, die Menschen wieder zusammenzubringen, ist das Opfer-Täter-Programm, so, wie es in dem Fischerdorf Nueva Venecia durchgeführt wird. Dort richteten regierungstreue Paramilitärs im Jahr 2000 ein Massaker unter den Dorfbewohnern an, aus Rache für die angebliche Hilfe bei der Entführung eines Regierungsmitglieds durch die Guerillaorganisation Farc. 19 Menschen wurden ermordet. Heute ist Nueva Venecia ein „Dorf der Versöhnung“, in dem Opfer und Täter zusammen leben, zusammen Kirchen und Schulen aufbauen, Straßen instand setzen und Hand in Hand für das Allgemeinwohl arbeiten.

„Es sind nicht dieselben Täter, die das Dorf überfallen haben“, erklärt Hernández, sondern Täter, die an anderer Stelle Greueltaten verübt haben. Doch es ist ein gewaltiger Schritt, dass diese beiden Seiten einer Medaille ganz bewusst den Versöhnungsprozess leben wollen. Das, so sagt Hernández, zeige ihm auch das große Bedürfnis der Täter, die Verzeihung der Opfer zu erlangen. Und das der Opfer, sich zu versöhnen. Es ist ein langwieriger Prozess, doch ohne Wiedergutmachung wird das Land nicht heilen können, da ist der Christ sicher.

Tobias Merckle, der Leiter des Leonberger Seehauses, kennt Hernández und seine Arbeit schon seit 20 Jahren. Das Seehaus ist Mitglied bei Prison Fellowship International, das zur evangelischen Kirche gehört, und steht für den Strafvollzug in freier Form. Dabei dürfen sich die verurteilten Häftlinge frei in einem festgelegten Areal bewegen.

Opfer und Täter in einem Dorf

So leisten ehemalige Guerillakämpfer und Paramilitärs ihre Strafe beispielsweise in den Dörfern der Versöhnung ab. „Der zentrale Gedanke der Wiedergutmachung muss in den Köpfen der Menschen verfestigt werden“, weiß Merckle, der in Leonberg die Hoffnungsträger Stiftung gegründet hat. Mit deren Hilfe werden die Menschen in Kolumbien unterstützt. Das Versöhnungsprojekt schreibt Erfolgsgeschichte. Das zeigt sich auch darin, dass Opfer und Täter weiter gemeinsam in der Dorfgemeinschaft bleiben, auch wenn Prison Fellowship sich zurückzieht, und weiter an der Versöhnung arbeiten. Denn da wächst etwas.

Noch andere Projekte liegen Hernández am Herzen, zum Beispiel die Betreuung von Strafgefangenen. Der Glaube ist für ihn hier der Schlüssel, denn der Einzug christlicher Werte ändert den Gefängnisalltag. Ein Miteinander entwickelt sich, die Hilfsbereitschaft wächst. „Jesus im Herzen verändert etwas im Menschen“, findet Hernández, dessen Sorge auch den Kindern von Strafgefangenen gilt. „Ich möchte sie von klein auf begleiten, damit sie die Chance auf ein besseres Leben bekommen“, wünscht er sich. 800 Kinder werden derzeit mit Fördergeldern der Hoffnungsträger Stiftung unterstützt. Die Stiftung will dafür sorgen, dass die Kinder langfristig versorgt, gefördert und geliebt werden.

Die Hilfe ist bitter nötig. Die Spaltung der Gesellschaft, die der Friedensvertrag mit sich gebracht hat, zieht sich durch die Kirche, durch die Dörfer, durch Familien. Die Kämpfer, die jetzt die Waffen ruhen lassen, werden zwar bestraft, doch sie brauchen schnell eine lebenswerte Perspektive. Damit die Chance auf Versöhnung und Vergebung nicht verpufft.