In dubio pro reo: Das Landgericht hegt Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Tochter. Diese beschuldigt ihren Vater, sie sexuell Missbraucht zu haben.

Leonberg/Stuttgart - Freispruch im Missbrauchsprozess: Der 52 Jahre alte Mann, der sich am Stuttgarter Landgericht wegen sexuellen Missbrauchs seiner Tochter verantworten musste, ist von der 16. Großen Strafkammer freigesprochen worden. „Es steht Aussage gegen Aussage“, sagte der Vorsitzende Richter, der gemäß des juristischen Grundsatzes „Im Zweifel für den Angeklagten“, zugunsten des früher in Leonberg lebenden Mannes entschied.

 

Tochter zeigt keine Regung

Die 26 Jahre alte Tochter nahm das Urteil des Richters ohne erkennbare Regung hin. Die Frau, die in dem Verfahren als Nebenklägerin auftrat, hatte ihrem Vater vorgeworfen, dass er sich jahrelang an ihr sexuell vergangen habe. Erstmals im Alter von vier Jahren soll er sie beim Duschen im Vaginalbereich angefasst haben, später nach dem Umzug der Familie aus Leonberg nach Sinsheim hätten die Übergriffe zugenommen. So soll er sie sogar mit Alkohol abgefüllt haben, um sich an ihr zu vergehen.

Doch das Gericht glaubte ihr nicht. „An der Glaubwürdigkeit der Tochter gibt es erhebliche Zweifel“, begründete der Richter die Entscheidung. Die unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommene 26-Jährige habe einen fragwürdigen Eindruck bei der Strafkammer hinterlassen. „Sie hatte die Taten ihres Vaters emotionslos geschildert, was eher unüblich ist“, erklärte der Richter.

Außerdem wies er auf Widersprüche bei der Vernehmung der Frau hin. Diese hätten dazu geführt, dass die Aussagen „an Zuverlässigkeit verlieren“. So habe die Tochter in der Familiensache am Oberlandesgericht berichtet – dort ging es um das Umgangsrecht des Angeklagten mit seinem jüngsten Kind – dass dieser immer zwei Finger in ihre Vagina eingeführt habe. „In diesem Verfahren hatte sie dies aber zurückgenommen und nur von einem Finger gesprochen“, sagte der Richter.

Stutzig machte das Gericht nicht zuletzt, dass die Tochter im allersten Gespräch mit der Mutter lediglich von „sexuellem Missbrauch“ gesprochen hatte, ohne dies weiter zu konkretisieren. „Die Mutter indes berichtete im Zeugenstand, ihre Tochter habe ihr gesagt, dass ihr Vater sie unsittlich im Vaginalbereich berührt hat“, sagte der Richter.

Vorgetäuschter Wohnungseinbruch

Auch ein vorgetäuschter Einbruch im Haus der Mutter während eines Urlaubsaufenthalts, der in dem Verfahren angesprochen wurde, ließ das Gericht an der Glaubwürdigkeit der jungen Frau zweifeln. „Wie die Tochter im Nachhinein einräumte, erstattete sie die Anzeige auf Weisung ihres Vaters, um damit der Mutter eins auszuwischen“, sagte der Richter und konstatierte: „Man könnte im Umkehrschluss vermuten, dass sie auch auf Weisung der Mutter Anzeigen erstattet, um ihrem Vater zu schaden.“

Der angeklagte Sinsheimer hatte vor Gericht von einer Intrige seiner Ex-Frau gesprochen und behauptet, dass seine Tochter ihn auf Initiative der Mutter beschuldige, um damit ein Kontaktverbot zum jüngsten der drei gemeinsamen Kinder zu erreichen. Die von der Staatsanwaltschaft angeklagten neun Fälle des sexuellen Missbrauchs hatte der Ingenieur komplett abgestritten.

Mit der Strafanzeige gegen ihren Vater wollte die 26-Jährige eigener Aussage nach einen Schlussstrich unter ein dunkles Kapitel ihres Lebens ziehen und damit einen Neuanfang beginnen. Dazu hatte ihr offenbar eine Psychologin geraten, nachdem sie sich ihr anvertraut hatte. Doch obwohl das Gericht deren Vernehmung angeregt hatte, um die „Entstehungsgeschichte“ hinter der Offenbarung der jungen Frau zu prüfen, wollte diese die Psychologin nicht von ihrer ärztlichen Schweigepflicht entbinden.

Auch den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung hielt die Strafkammer nicht für glaubhaft. Die 26-Jährige hatte behauptet, dass ihr Vater drei brennende Zigaretten auf ihrem Handrücken ausgedrückt hatte, um ihr auf diese Weise das Rauchen abzugewöhnen. Weil die Verhandlung teilweise nicht öffentlich geführt wurde, hatte das Gericht das Publikum für die Dauer der Plädoyers ausgeschlossen.