Der Leonberger Maurer Johannes Mörk hat 1912 seine Verwandtschaft in Amerika besucht.

Leonberg - Schon im Jahr 1910 hatte ich die Absicht, meine Geschwister in Amerika zu besuchen“, schrieb im Spätherbst der am 6. Oktober 1854 in Eltingen geborene Maurer und Steinhauer Johannes Mörk in sein Tagebuch. „Die beabsichtigte Reise musste wieder aufgegeben werden, da meine Tochter Sofie sich verlobte und ich als Witwer gezwungen war, denselben Schritt zu unternehmen“, hält er weiter fest. „Nach zwölfjähriger glücklicher Ehe wurde mir meine zweite Frau durch den Tod entrissen und ich stand wieder als Witwer da.“ Zum ersten Mal hatte Johannes Mörk 1879 in Leonberg geheiratet, hat die Stadtarchivarin Bernadette Gramm herausgefunden.

 

„Meine familiären und geschäftlichen Verhältnisse gestatteten es mir, die aufgeschobene Reise auszuführen, um meine drei Schwestern sowie die Verwandten meiner lieben Frau zu besuchen“, steht in den Aufzeichnungen. Mörk baute unter anderem Häuser und fertigte Grabsteine an. 1899 hat er das Haus Bahnhofstraße 9 (heute Druckerei Reichert) errichtet, wie eine Inschrift oben am Haus zeigt.

Im August 1912 teilte er seine Absicht den Schwestern mit und am 24. Oktober um 20 Uhr reiste er von Leonberg ab. Mit im Zug auch die in Amerika verheiratete Eltingerin Luise Cuehring (geborene Wankmüller), die mit Ehemann und Sohn die alte Heimat besucht hatte. Die Familie nahm sich bei der zehntägigen Überfahrt mit Schiff sowohl Johannes Mörk an, als auch der Eltingerin Luise Eberhard, die ebenfalls auf dem Weg nach Amerika war.

Abfahrt in Rotterdam

Mit dem Schnellzug ging es von Stuttgart nach Rotterdam. Hier nahmen Bedienstete der Schiffsgesellschaft das Gepäck entgegen und brachten es zum Hafen. Nachdem die restliche Überfahrtssumme von 170 Mark bezahlt wurde, erhielten die Reisenden ihre Karten und konnten bis zum Auslaufen des Schiffes die Stadt besichtigen. „Nichts als Brücken und Kanäle, größere und kleinere Schiffe und Boote in großer Zahl“, schreibt Johannes Mörk.

Das Tagebuch Foto: Stadtarchiv
Für ihn erwähnenswert: „Wir mussten lange suchen, bis wir eine passende Wirtschaft fanden. Dort wurde nur Bier und Milch verabreicht. Herr Cuehring wollte Cognac oder was behagliches haben, worauf erwidert wurde, das es dies hier nicht gebe – obwohl hier meistens Hafenarbeiter verkehrten.“

Die Kabine teilt sich der Leonberger mit einem „Pfälzer“. „Wir waren eine sehr gemischte Reisegesellschaft, es waren viele russische Polen darunter, welche aber alle in der 3. Klasse fuhren“, hält er in seinem Reisebericht fest.

Die Überfahrt

Das Auslaufen des Schiffes nachts um 1 Uhr hat der Maurermeister verschlafen. Das Frühstück um 8 Uhr lässt er sich munden und ist erstaunt: „Die Speisekarte ist sehr reichhaltig. Es gibt Braten mit Kartoffeln, Honig, Butter, Kaffee, Tee, gebackene oder gekochte Eier, Orangen, Schweizer- oder Edamerkäse.“ Auf dem Deck musiziert die acht Mann starke Kapelle. Auf der Fahrt am Samstag durch den Ärmelkanal ist das Wetter schön, schlägt tags darauf um. „Von den 348 Mitreisenden wurden 300 seekrank, an der Mittagstafel erscheinen nur 45 Personen“, schreibt der seefeste schwäbische Handwerker. Er hat nicht so guten Appetit wie sonst, ist aber wohlauf. „Am 29. Oktober hatten wir starken Sturm. Die Sturzwellen schlugen oft auf das oberste Deck. Für uns Gesunde war es ein großartiger Anblick, wie das Schiff oft fünf bis sieben Meter hoch stieg und fiel“, ist die „Landratte“ begeistert. Auf den Tischen wurden Gestelle befestigt, damit die Gedecke nicht herunterfielen. „Trotzdem gab es im Teller Flut und Ebbe.“

Die Gesellschaft ist nichtsdestotrotz fidel. Die Cuehrings, Luise Eberhardt und Johannes Mörk nehmen die Seite eines großen Tisches ein. Herr Cuehring erklärt die kurzerhand zur „Eltinger Reihe“. Langsam erholen sich alle und am 31. Oktober sind die Reisenden trotz schlechten Wetters so gut drauf, dass keiner zu Bett gehen wollte. Die Mannschaft weiß sich zu helfen. „Dann wurde einfach das elektrische Licht abgedreht, um die Fahrgäste zum Schlafengehen zu bewegen“, notiert Johannes Mörk in seinem Reisebericht.

Ein interessierter Zeitgenosse

Am 2. November wendet sich der Passagier aus dem Württembergischen an den Schiffshofmeister, denn ihn interessiert das große Gefährt. Rund 200 Meter lang ist es und bietet Platz für 3000 Menschen. Bei dieser Fahrt sind aber nur 1450 Personen an Bord. Die Besatzung besteht aus 280 Mann.

Johannes Mörk genießt die Reise. „Heute habe ich mit zwei Fräuleins aus Schorndorf und Fräulein Eberhardt auf Deck das Lied ,Wie die Blümlein draußen zittern’ gesungen – viele haben uns begeistert Beifall geklatscht“, schreibt er am 3. November in seinem Tagebuch.

Ankunft in New York

„Heute schönstes Wetter, die Sonne scheint beim Aufstehen in meine Kabine“, hält der Leonberger am 4. November fest. Auf dem Deck Musik, freundliche Gesichter. Um Mitternacht wird Johannes Mörk von seinem Kabinennachbar geweckt: „Landsmann, wir sind in Amerika!“

Um 7 Uhr fährt das Schiff langsam in den New Yorker Hafen ein. Beamte kontrollieren die Passagiere und fragen nach dem Barbestand.

Um 9.30 Uhr sieht Mörk seine Schwägerin Hedwig und ihren Ehemann Jerg auf der Pier. Doch die Gänge sind verstopft, von denen, die noch nicht kontrolliert wurden. Langsam wird der Leonberger ungeduldig. „Schwäbische Kraftworte gebrauchend, brachte ich meinen schweren Koffer über die Köpfe der anderen hinweg unter Gelächter und Geschimpfe ins Freie“, schildert er.

Die amerikanische Verwandtschaft

Mit der Untergrundbahn und dem Taxi geht es zu Schwägerin Hedwig, wo sich auch Schwägerin Ernestine mit Ehemann eingefunden hatten. Bis spät in die Nacht wurde erzählt. Vor dem Schlafengehen bedankt sich Johannes Mörk im Gebet bei Gott für die glückliche Überfahrt und dafür, dass die Geschwister seiner seligen Frau ihm so herzlich gut sind.

Überwältigt ist der Gast aus Deutschland vom geschäftigen Leben und Treiben der Großstadt. Beim Abendessen in der Wirtschaft eines Württembergers wird es politisch: „Unsere Ansichten waren verschieden. Mein Schwager vertrat die sozial-demokratische und ich die demokratische Partei, keiner ließ sich in seiner Ansicht beirren.“

Auch der Komfort, wie die Dampfzentralheizung, beeindruckt den Maurermeister und dass die Wäscheseile über Rollen laufen. Und als pragmatischer Schwabe meint er: „Das werde ich an meinem Hause auch anbringen.“

Die Schwestern in Chicago

Am 11. November tritt Johannes Mörk die Zugreise zu seinen Schwestern an. In Chicago wird er von Schwester Friedericke und ihrer Familie empfangen, abends gesellt sich Karoline dazu und am Wochenende will auch Katharina aus Stryker (Ohio) anreisen. Nach dem Abendessen geht der Gast mit dem Schwager zum Treffen des örtlichen Turnvereins. „Was für schneidige Aussprachen und Handhabung der Ordnung, ein krasser Gegensatz zu den Versammlungen bei uns zu Hause“, notiert Johannes Mörk.

Am 14. November ist Stadtbesichtigung angesagt. „Alles ist großzügig angelegt. Chicago wird die Blumenstadt genannt. Abends gingen wir zu meinem Neffen Arthur, wo auch dessen Schwiegereltern und zwei seiner Schwägerinnen anwesend waren.“ Mit diesem Eintrag enden die Reiseaufzeichnungen von Johannes Mörk. Wieso, weiß man in der Familie nicht. Er ist wohlbehalten aus Amerika zurückgekommen. 1916 ist er während der Arbeit auf der Solitude verstorben.