Das Saxofon-Quartett Belle Époque widmet dem Schöpfer seines Instruments eine eindrucksvolle und bisher einmalige Hommage mit historischen Instrumenten. Dabei wird Skurriles und Kurioses nicht ausgespart.

Leonberg - Aus Jazz, Big Band und Militärkapellen ist es nicht wegzudenken: das Saxofon mit seinem unverwechselbaren Timbre und expressiven Sound – und auch in der klassischen Musik sowie in Rock und Pop macht es eine gute (Klang-)Figur. Aber wer hat’s erfunden? Adolphe Sax, eigentlich Antoine Joseph Sax (1814-1894), ein belgischer Tüftler, Instrumentenbauer und Musiker, der ein Instrument schaffen wollte, „das im Charakter seiner Stimme den Streichinstrumenten nahe kommt, aber mehr Kraft und Intensität besitzt als diese.“

 

Ihm hat das Saxofon-Quartett Belle Époque mit Nikola Lutz (Sopransaxofon), Thomas Reil (Altsaxofon), Andreas Francke (Tenorsaxofon) und Harald Schneider (Baritonsaxofon) am Dienstagabend im voll besetzten Spitalhof eine eindrucksvolle und bisher in Deutschland einmalige Hommage gewidmet. Auf historischen Instrumenten aus der Zeit zwischen 1869 und 1897 aus der Sammlung Thomas Reil führen sie Kennern und Liebhabern des Instruments die Entwicklungsgeschichte des Instruments vor Ohren, erläutern dessen Bautechnik und demonstrieren die spannende Klangvielfalt.

Die meisten Stücke sind verschollen

Auf dem Programm stehen nicht nur wenige frühe Originalkompositionen für Saxofon-Quartett – die meisten Stücke sind verschollen – und Bearbeitungen, wie das „Andante cantabile“ von Peter Tschaikowsky (1871), sondern auch die Präsentation der verschiedenen Varianten, Klangmöglichkeiten und Entwicklungsstufen des Instruments, wie „Sarrusophon“ und „Tárogató“ bis zurück zum „Zink“, einem mittelalterlichen Vorläufer des Saxofons, und sogar Kuriositäten wie „Serpent“ und „Ophicleide“ („Schlange mit Klappen“).

An die Wand ist ein Bild von Adolphe Sax projiziert, und auf der Bühne stehen und liegen gut zwei Dutzend ganz unterschiedliche Bauvarianten des Saxofons, als das Quartett auf grün bezogenen Belle-Époque-Sesseln „Premier Quatuor op. 53“ von Jean Baptiste Singelée musiziert, das älteste, noch erhaltene Werk für Saxofon-Quartett: „So könnte es um 1860 geklungen haben.“

Es zählt zu den Holzblasinstrumenten

Obwohl das Instrument aus Messing gefertigt ist, zählt es dennoch zu den Holzblasinstrumenten – wegen der Anblastechnik und aus historischen Gründen – „es ist aber ein Hybrid“, erläutert Thomas Reil. Die alten, rein handwerklich gefertigten Instrumente waren kürzer, besaßen deshalb einen geringeren Tonumfang, sind spielpraktisch schwieriger und besitzen eine schlechtere Intonation als die heutigen Saxofone.

Adolphe Sax, das erste von insgesamt elf Kindern, wuchs in der Instrumentenbauerwerkstatt seines Vaters auf, erlangte früh in Flöte und Klarinette hohes spielerisches Niveau und baute mit zwölf Jahren schon eine eigene Klarinette. Als für Militärkapellen, die im 19. Jahrhundert eine bedeutende Rolle spielten, ein tiefes und kräftiges Holzblasinstrument gesucht wird – das Fagott war zu leise –, beginnt der kreative Kopf zu experimentieren, kombiniert zwei unterschiedliche Instrumente und konstruiert ein konisches Rohr, das sich zum Ende hin weitet.

Durchbruch in den „Goldenen Zwanzigern“

Er baut eine ganze Instrumentenfamilie, bringt zahlreiche Instrumente zur Patentreife, gründet einen Musikverlag, gibt eine Schule für Saxofonspiel heraus, erhält einen Lehrauftrag für Saxofon am Pariser Konservatorium und avanciert zum Direktor des Bühnenorchesters der Pariser Oper. Trotzdem muss sein Geschäft mehrfach Insolvenz anmelden, und er lebt zum Schluss von einer kleinen Rente.

Obwohl der Komponist und Musikkritiker Hector Berlioz von dem neuen Instrument begeistert ist, gelingt dem Saxofon erst im beginnenden 20. Jahrhundert der Durchbruch, als es zum Symbol des Lebensgefühls der „Goldenen Zwanziger“ arriviert: Das Quartett Belle Époque spielt dazu den Rag „The Piggly Wiggle“ der „Six Brown Brothers“, einem komödiantischen Saxofon-Sextett, das damals Furore gemacht hat.

In der Pause belagert das interessierte Publikum die Bühne, bestaunt die teilweise recht kuriosen Instrumente und will alles ganz genau wissen. Auf die Frage, was ihn zu seiner Sammelleidenschaft antreibt, antwortet Thomas Reil, der ein Studium im Fach Klarinette absolviert hat: „Das Interesse an alter Handwerkskunst, die Herausforderung, die schwieriger zu spielenden Instrumente zum Klingen zu bringen, und die Freude an Entdeckungen.“

Ungewohnte Töne aus einer anderen Zeit

Ebbi Grözinger, renommierter Saxofonist und Pianist, der im Publikum „ganz Ohr“ ist, spricht mit feuchten Augen von einer „Sternstunde“, weil er bei dieser Veranstaltung in die Geschichte seines Instruments hörbar eintauchen darf.

Das hingerissene Publikum erlebt einen ganz besonderen Abend: Es hört ungewohnte Töne aus einer anderen Zeit, erfährt spannende Hintergründe, erlebt Musizieren auf hohem Niveau und spürt die Leidenschaft der Musiker für ihr Instrument. Nikola Lutz weist zum Schluss darauf hin, dass der Asteroid Nr. 3534 nach Adolphe Sax benannt ist, und resümiert: „Sax ist somit nicht nur musikalisch unsterblich geworden, sondern er schwebt auch über unseren Köpfen am nächtlichen Firmament!“